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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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gel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter
mir im Fenster des öden Hauses gelegen. -- Noch
weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht
auch das holde Antlitz gesehen. "Dort drüben? --
in dem alten Hause -- in dem letzten Fenster?"
so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte.
"Allerdings, allerdings," sprach ich; da lächelte
der Alte sehr und fing an: "Nun das ist doch eine
wunderliche Täuschung -- nun meine alten Augen
-- Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei,
mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge
das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber
es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und
lebendig in Oel gemahltes Portrait." Schnell
drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war ver¬
schwunden, die Jalousie herunter gelassen. "Ja!"
fuhr der Alte fort, "ja, mein Herr, nun ist's zu
spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm
der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Castellan
das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein
bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt,

gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter
mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch
weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht
auch das holde Antlitz geſehen. „Dort druͤben? —
in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter?“
ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte.
„Allerdings, allerdings,“ ſprach ich; da laͤchelte
der Alte ſehr und fing an: „Nun das iſt doch eine
wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen
— Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei,
mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge
das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber
es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und
lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell
drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬
ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „Ja!“
fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun iſt's zu
ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm
der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan
das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein
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[34/0042] gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz geſehen. „Dort druͤben? — in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter?“ ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ ſprach ich; da laͤchelte der Alte ſehr und fing an: „Nun das iſt doch eine wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen — Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬ ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun iſt's zu ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/42>, abgerufen am 28.04.2024.