Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

Bild:
<< vorherige Seite
Der sterbende
Schnee/ so lange er Schnee ist/ wie wir allbereit
erwehnet/ keines weges Hitze an sich nehmen/ und
Hitz und Kälte nicht beysammen seyn kan/ sondern
es muß der Schnee/ so bald die Hitze kömpt/ entwe-
der weichen oder gantz vergehen/ wie denn auch das
Feuer/ wann die Kälte antritt/ sich gleichfals auf
die Seite machen/ und verlöschen muß/ indem Feu-
er und Kälte sich keines weges mit einander vertra-
gen können.
Cebes.
Du sagest die Warheit.
Socrates.
Du must wissen/ daß etliche Dinge zu finden/ die
ihrer Art Sachen nicht alleine allezeit mit ihrem
Namen verehren/ sondern auch bißweilen etwas
anders/ daß doch in der Warheit nicht dem ersten
gleiche ist/ sondern nur so lange es dasselbe ist/ der-
derselben Gestalt in sich hat. Und schaue nun wo
du dieses sonnenklar sehen wirst/ Ungerade/ behält
allzeit den Namen Ungerade. Jst aber nun über
dieses nichts anders? Dann dieses ist eben die Frage/
ob nicht etwas zu finden/ so in ihm selbst nicht eben
dieses/ was ungerade ist/ welches aber doch neben
einem andern Namen so es hat/ dennoch diesen Na-
men Ungerade zu führen/ gleichsam verbunden wird/
und solches zwar aus Antrieb der Natur/ die da
wil/ daß es allezeit den Namen Ungerade behalte;
Dann so ist es auch mit der Zahl von dreyen bewand/
so
Der ſterbende
Schnee/ ſo lange er Schnee iſt/ wie wir allbereit
erwehnet/ keines weges Hitze an ſich nehmen/ und
Hitz und Kaͤlte nicht beyſammen ſeyn kan/ ſondern
es muß der Schnee/ ſo bald die Hitze koͤmpt/ entwe-
der weichen oder gantz vergehen/ wie denn auch das
Feuer/ wann die Kaͤlte antritt/ ſich gleichfals auf
die Seite machen/ und verloͤſchen muß/ indem Feu-
er und Kaͤlte ſich keines weges mit einander vertra-
gen koͤnnen.
Cebes.
Du ſageſt die Warheit.
Socrates.
Du muſt wiſſen/ daß etliche Dinge zu finden/ die
ihrer Art Sachen nicht alleine allezeit mit ihrem
Namen verehren/ ſondern auch bißweilen etwas
anders/ daß doch in der Warheit nicht dem erſten
gleiche iſt/ ſondern nur ſo lange es daſſelbe iſt/ der-
derſelben Geſtalt in ſich hat. Und ſchaue nun wo
du dieſes ſonnenklar ſehen wirſt/ Ungerade/ behaͤlt
allzeit den Namen Ungerade. Jſt aber nun uͤber
dieſes nichts anders? Dañ dieſes iſt eben die Frage/
ob nicht etwas zu finden/ ſo in ihm ſelbſt nicht eben
dieſes/ was ungerade iſt/ welches aber doch neben
einem andern Namen ſo es hat/ dennoch dieſen Na-
men Ungerade zu fuͤhren/ gleichſam verbunden wird/
und ſolches zwar aus Antrieb der Natur/ die da
wil/ daß es allezeit den Namen Ungerade behalte;
Dañ ſo iſt es auch mit der Zahl von dreyen bewand/
ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#SOC">
          <p><pb facs="#f0368" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der &#x017F;terbende</hi></fw><lb/>
Schnee/ &#x017F;o lange er Schnee i&#x017F;t/ wie wir allbereit<lb/>
erwehnet/ keines weges Hitze an &#x017F;ich nehmen/ und<lb/>
Hitz und Ka&#x0364;lte nicht bey&#x017F;ammen &#x017F;eyn kan/ &#x017F;ondern<lb/>
es muß der Schnee/ &#x017F;o bald die Hitze ko&#x0364;mpt/ entwe-<lb/>
der weichen oder gantz vergehen/ wie denn auch das<lb/>
Feuer/ wann die Ka&#x0364;lte antritt/ &#x017F;ich gleichfals auf<lb/>
die Seite machen/ und verlo&#x0364;&#x017F;chen muß/ indem Feu-<lb/>
er und Ka&#x0364;lte &#x017F;ich keines weges mit einander vertra-<lb/>
gen ko&#x0364;nnen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#CEB">
          <speaker> <hi rendition="#fr">Cebes.</hi> </speaker><lb/>
          <p>Du &#x017F;age&#x017F;t die Warheit.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#SOC">
          <speaker> <hi rendition="#fr">Socrates.</hi> </speaker><lb/>
          <p>Du mu&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en/ daß etliche Dinge zu finden/ die<lb/>
ihrer Art Sachen nicht alleine allezeit mit ihrem<lb/>
Namen verehren/ &#x017F;ondern auch bißweilen etwas<lb/>
anders/ daß doch in der Warheit nicht dem er&#x017F;ten<lb/>
gleiche i&#x017F;t/ &#x017F;ondern nur &#x017F;o lange es da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t/ der-<lb/>
der&#x017F;elben Ge&#x017F;talt in &#x017F;ich hat. Und &#x017F;chaue nun wo<lb/>
du die&#x017F;es &#x017F;onnenklar &#x017F;ehen wir&#x017F;t/ Ungerade/ beha&#x0364;lt<lb/>
allzeit den Namen Ungerade. J&#x017F;t aber nun u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;es nichts anders? Dan&#x0303; die&#x017F;es i&#x017F;t eben die Frage/<lb/>
ob nicht etwas zu finden/ &#x017F;o in ihm &#x017F;elb&#x017F;t nicht eben<lb/>
die&#x017F;es/ was ungerade i&#x017F;t/ welches aber doch neben<lb/>
einem andern Namen &#x017F;o es hat/ dennoch die&#x017F;en Na-<lb/>
men Ungerade zu fu&#x0364;hren/ gleich&#x017F;am verbunden wird/<lb/>
und &#x017F;olches zwar aus Antrieb der Natur/ die da<lb/>
wil/ daß es allezeit den Namen Ungerade behalte;<lb/>
Dan&#x0303; &#x017F;o i&#x017F;t es auch mit der Zahl von dreyen bewand/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0368] Der ſterbende Schnee/ ſo lange er Schnee iſt/ wie wir allbereit erwehnet/ keines weges Hitze an ſich nehmen/ und Hitz und Kaͤlte nicht beyſammen ſeyn kan/ ſondern es muß der Schnee/ ſo bald die Hitze koͤmpt/ entwe- der weichen oder gantz vergehen/ wie denn auch das Feuer/ wann die Kaͤlte antritt/ ſich gleichfals auf die Seite machen/ und verloͤſchen muß/ indem Feu- er und Kaͤlte ſich keines weges mit einander vertra- gen koͤnnen. Cebes. Du ſageſt die Warheit. Socrates. Du muſt wiſſen/ daß etliche Dinge zu finden/ die ihrer Art Sachen nicht alleine allezeit mit ihrem Namen verehren/ ſondern auch bißweilen etwas anders/ daß doch in der Warheit nicht dem erſten gleiche iſt/ ſondern nur ſo lange es daſſelbe iſt/ der- derſelben Geſtalt in ſich hat. Und ſchaue nun wo du dieſes ſonnenklar ſehen wirſt/ Ungerade/ behaͤlt allzeit den Namen Ungerade. Jſt aber nun uͤber dieſes nichts anders? Dañ dieſes iſt eben die Frage/ ob nicht etwas zu finden/ ſo in ihm ſelbſt nicht eben dieſes/ was ungerade iſt/ welches aber doch neben einem andern Namen ſo es hat/ dennoch dieſen Na- men Ungerade zu fuͤhren/ gleichſam verbunden wird/ und ſolches zwar aus Antrieb der Natur/ die da wil/ daß es allezeit den Namen Ungerade behalte; Dañ ſo iſt es auch mit der Zahl von dreyen bewand/ ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/368
Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/368>, abgerufen am 16.05.2024.