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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Drittes Kapitel.

Wie Anton in den Wald läuft, sich auszurasen und seinen Schmerz auszu-
schlafen; wie er durch den schwarzen Wolfgang erweckt wird, dessen nähere
Bekanntschaft macht und endlich ein Pflegekind heimbringt.

Als am nächsten Morgen die alte Frau erwachte,
fand sie ein Blatt Papier mit Stecknadeln an ihre
Bettdecke geheftet, worauf in großen Lettern zu lesen
stand:

"Liebe Großmutter, Anton ist hinaus in den
Wald gegangen und wird vor Abend nicht zurück-
kehren. Mach' Dir keine Sorgen um mich. Die
Einsamkeit soll mir gut thun. Morgen bin ich
wieder fleißig bei meinen Körden."

Wer ihn gesehen hätte, den guten Anton, als er
bei'm ersten Schimmer des Tages von seinem schlaf-
losen Nachtlager emporsprang und kaum angekleidet
das Weite suchte, der würde wahrlich in ihm den
heiteren, fröhlichen Knaben von gestern kaum
wieder erkannt haben. Die Geschichte von seiner
Geburt und von dem geheimnißvollen Ende seiner
Mutter schien ihn völlig umzuwandeln. Auf seinem
sonst so freundlichen Angesicht lag ein Ausdruck von
Zorn und Wuth, wie man nur bei recht verwilderten,
bösartigen Menschen wahrzunehmen pflegt. Jm

Drittes Kapitel.

Wie Anton in den Wald läuft, ſich auszuraſen und ſeinen Schmerz auszu-
ſchlafen; wie er durch den ſchwarzen Wolfgang erweckt wird, deſſen nähere
Bekanntſchaft macht und endlich ein Pflegekind heimbringt.

Als am naͤchſten Morgen die alte Frau erwachte,
fand ſie ein Blatt Papier mit Stecknadeln an ihre
Bettdecke geheftet, worauf in großen Lettern zu leſen
ſtand:

„Liebe Großmutter, Anton iſt hinaus in den
Wald gegangen und wird vor Abend nicht zuruͤck-
kehren. Mach’ Dir keine Sorgen um mich. Die
Einſamkeit ſoll mir gut thun. Morgen bin ich
wieder fleißig bei meinen Koͤrden.“

Wer ihn geſehen haͤtte, den guten Anton, als er
bei’m erſten Schimmer des Tages von ſeinem ſchlaf-
loſen Nachtlager emporſprang und kaum angekleidet
das Weite ſuchte, der wuͤrde wahrlich in ihm den
heiteren, froͤhlichen Knaben von geſtern kaum
wieder erkannt haben. Die Geſchichte von ſeiner
Geburt und von dem geheimnißvollen Ende ſeiner
Mutter ſchien ihn voͤllig umzuwandeln. Auf ſeinem
ſonſt ſo freundlichen Angeſicht lag ein Ausdruck von
Zorn und Wuth, wie man nur bei recht verwilderten,
boͤsartigen Menſchen wahrzunehmen pflegt. Jm

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[29/0045] Drittes Kapitel. Wie Anton in den Wald läuft, ſich auszuraſen und ſeinen Schmerz auszu- ſchlafen; wie er durch den ſchwarzen Wolfgang erweckt wird, deſſen nähere Bekanntſchaft macht und endlich ein Pflegekind heimbringt. Als am naͤchſten Morgen die alte Frau erwachte, fand ſie ein Blatt Papier mit Stecknadeln an ihre Bettdecke geheftet, worauf in großen Lettern zu leſen ſtand: „Liebe Großmutter, Anton iſt hinaus in den Wald gegangen und wird vor Abend nicht zuruͤck- kehren. Mach’ Dir keine Sorgen um mich. Die Einſamkeit ſoll mir gut thun. Morgen bin ich wieder fleißig bei meinen Koͤrden.“ Wer ihn geſehen haͤtte, den guten Anton, als er bei’m erſten Schimmer des Tages von ſeinem ſchlaf- loſen Nachtlager emporſprang und kaum angekleidet das Weite ſuchte, der wuͤrde wahrlich in ihm den heiteren, froͤhlichen Knaben von geſtern kaum wieder erkannt haben. Die Geſchichte von ſeiner Geburt und von dem geheimnißvollen Ende ſeiner Mutter ſchien ihn voͤllig umzuwandeln. Auf ſeinem ſonſt ſo freundlichen Angeſicht lag ein Ausdruck von Zorn und Wuth, wie man nur bei recht verwilderten, boͤsartigen Menſchen wahrzunehmen pflegt. Jm

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/45>, abgerufen am 27.04.2024.