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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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ten wollte, wie sanft, wie weiblich, wie anmuthig sie
auch sonst sein mochte.

Wer irgend mit einiger Kenntniß des menschlichen
Herzens, mit einiger Beobachtungsgabe ausgestattet,
die Beiden mitsammen gesehen, konnte ahnen, daß
hier eines jener Urgeheimnisse der Natur in verbor-
genster Macht wirkte. Der Jüngling schien das
Mädchen zu fliehen, das Mädchen schien ihn gering
zu schätzen; und dennoch fühlten sich Beide von der
unbeschreiblichen Gewalt aneinander gezogen, die aus
Mann und Weib wieder eine Seele und einen Leib
machen möchte und dieses Problems Lösung seit Adam
und Eva auf die verschiedensten Arten, bis jetzt immer
noch erfolglos, sucht.

Sobald Pastor-Puschel und Rubs in Liebenau
eintrafen, sich vom Staube des Weges einigermaßen
gesäubert hatten, begaben sich Beide stets regelmäßig
und ohne Aufschub aus dem Pfarrhofe nach dem Her-
renhause, um Onkel Nasus die Hand zu küssen, der
seinen "Mädels" alsobald befahl, Wein und Brot
vorzusetzen. Dann ritt er aus und ließ die zwei Paare
treiben, was ihnen gefällig war. Gewöhnlich unter-
nahmen sie einen Spaziergang, den die "Studenten"
mit ihren beinahe vier Meilen in den müden Füßen

ten wollte, wie ſanft, wie weiblich, wie anmuthig ſie
auch ſonſt ſein mochte.

Wer irgend mit einiger Kenntniß des menſchlichen
Herzens, mit einiger Beobachtungsgabe ausgeſtattet,
die Beiden mitſammen geſehen, konnte ahnen, daß
hier eines jener Urgeheimniſſe der Natur in verbor-
genſter Macht wirkte. Der Juͤngling ſchien das
Maͤdchen zu fliehen, das Maͤdchen ſchien ihn gering
zu ſchaͤtzen; und dennoch fuͤhlten ſich Beide von der
unbeſchreiblichen Gewalt aneinander gezogen, die aus
Mann und Weib wieder eine Seele und einen Leib
machen moͤchte und dieſes Problems Loͤſung ſeit Adam
und Eva auf die verſchiedenſten Arten, bis jetzt immer
noch erfolglos, ſucht.

Sobald Paſtor-Puſchel und Rubs in Liebenau
eintrafen, ſich vom Staube des Weges einigermaßen
geſaͤubert hatten, begaben ſich Beide ſtets regelmaͤßig
und ohne Aufſchub aus dem Pfarrhofe nach dem Her-
renhauſe, um Onkel Naſus die Hand zu kuͤſſen, der
ſeinen „Maͤdels“ alſobald befahl, Wein und Brot
vorzuſetzen. Dann ritt er aus und ließ die zwei Paare
treiben, was ihnen gefaͤllig war. Gewoͤhnlich unter-
nahmen ſie einen Spaziergang, den die „Studenten“
mit ihren beinahe vier Meilen in den muͤden Fuͤßen

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[53/0069] ten wollte, wie ſanft, wie weiblich, wie anmuthig ſie auch ſonſt ſein mochte. Wer irgend mit einiger Kenntniß des menſchlichen Herzens, mit einiger Beobachtungsgabe ausgeſtattet, die Beiden mitſammen geſehen, konnte ahnen, daß hier eines jener Urgeheimniſſe der Natur in verbor- genſter Macht wirkte. Der Juͤngling ſchien das Maͤdchen zu fliehen, das Maͤdchen ſchien ihn gering zu ſchaͤtzen; und dennoch fuͤhlten ſich Beide von der unbeſchreiblichen Gewalt aneinander gezogen, die aus Mann und Weib wieder eine Seele und einen Leib machen moͤchte und dieſes Problems Loͤſung ſeit Adam und Eva auf die verſchiedenſten Arten, bis jetzt immer noch erfolglos, ſucht. Sobald Paſtor-Puſchel und Rubs in Liebenau eintrafen, ſich vom Staube des Weges einigermaßen geſaͤubert hatten, begaben ſich Beide ſtets regelmaͤßig und ohne Aufſchub aus dem Pfarrhofe nach dem Her- renhauſe, um Onkel Naſus die Hand zu kuͤſſen, der ſeinen „Maͤdels“ alſobald befahl, Wein und Brot vorzuſetzen. Dann ritt er aus und ließ die zwei Paare treiben, was ihnen gefaͤllig war. Gewoͤhnlich unter- nahmen ſie einen Spaziergang, den die „Studenten“ mit ihren beinahe vier Meilen in den muͤden Fuͤßen

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/69>, abgerufen am 09.05.2024.