Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Auge auf schneebedeckte Mauern, auf andere. Dächer,
auf Giebel und Schornsteine starrte, so lange, bis es
schmerzhaft geblendet von Thränen überfloß. Was
er nun für Adelen fühle, wurde ihm selbst kaum deut-
lich: war es beleidigter Stolz, der ihn zürnen ließ?
War es schwermüthige Sehnsucht, dankbare Anhäng-
lichkeit, die den Groll in Liebe umwandelte? --
Gleichviel! -- Was es sei, rief er aus, Eines ist doch
gewiß: daß ich nur sie in meinem Herzen hege! Daß
ich nur ihrer gedenke; daß mir sonst Alles auf Erden
gleichgültig ist!

Um nur etwas zu thun; um nur in die unmänn-
liche Abspannung, die sich seiner bemächtigen wollte,
einige Thatkraft zu bringen, schrieb er an seinen Arzt
in B. und beschwur diesen, durch Vermittelung der
geeigneten Behörden auskundschaften zu lassen, wo-
hin Adele Jartour sich gewendet haben könne? Nach-
dem er durch diesen gefälligen Gönner die Antwort
empfing, ihr Reisepaß sei bei der französischen Gesand-
schaft nach Paris visirt worden, wendete er sich
geradezu an sie selbst, ergoß in einem langen, sehr
ausführlichen Briefe sein ganzes volles Herz, richtete
auf gutes Glück diese Epistel an Adele Jartour, erste
Reiterin beim olympischen Cirkus der Gebrüder Fran-

Auge auf ſchneebedeckte Mauern, auf andere. Daͤcher,
auf Giebel und Schornſteine ſtarrte, ſo lange, bis es
ſchmerzhaft geblendet von Thraͤnen uͤberfloß. Was
er nun fuͤr Adelen fuͤhle, wurde ihm ſelbſt kaum deut-
lich: war es beleidigter Stolz, der ihn zuͤrnen ließ?
War es ſchwermuͤthige Sehnſucht, dankbare Anhaͤng-
lichkeit, die den Groll in Liebe umwandelte? —
Gleichviel! — Was es ſei, rief er aus, Eines iſt doch
gewiß: daß ich nur ſie in meinem Herzen hege! Daß
ich nur ihrer gedenke; daß mir ſonſt Alles auf Erden
gleichguͤltig iſt!

Um nur etwas zu thun; um nur in die unmaͤnn-
liche Abſpannung, die ſich ſeiner bemaͤchtigen wollte,
einige Thatkraft zu bringen, ſchrieb er an ſeinen Arzt
in B. und beſchwur dieſen, durch Vermittelung der
geeigneten Behoͤrden auskundſchaften zu laſſen, wo-
hin Adele Jartour ſich gewendet haben koͤnne? Nach-
dem er durch dieſen gefaͤlligen Goͤnner die Antwort
empfing, ihr Reiſepaß ſei bei der franzoͤſiſchen Geſand-
ſchaft nach Paris viſirt worden, wendete er ſich
geradezu an ſie ſelbſt, ergoß in einem langen, ſehr
ausfuͤhrlichen Briefe ſein ganzes volles Herz, richtete
auf gutes Gluͤck dieſe Epiſtel an Adele Jartour, erſte
Reiterin beim olympiſchen Cirkus der Gebruͤder Fran-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="167"/>
Auge auf &#x017F;chneebedeckte Mauern, auf andere. Da&#x0364;cher,<lb/>
auf Giebel und Schorn&#x017F;teine &#x017F;tarrte, &#x017F;o lange, bis es<lb/>
&#x017F;chmerzhaft geblendet von Thra&#x0364;nen u&#x0364;berfloß. Was<lb/>
er nun fu&#x0364;r Adelen fu&#x0364;hle, wurde ihm &#x017F;elb&#x017F;t kaum deut-<lb/>
lich: war es beleidigter Stolz, der ihn zu&#x0364;rnen ließ?<lb/>
War es &#x017F;chwermu&#x0364;thige Sehn&#x017F;ucht, dankbare Anha&#x0364;ng-<lb/>
lichkeit, die den Groll in Liebe umwandelte? &#x2014;<lb/>
Gleichviel! &#x2014; Was es &#x017F;ei, rief er aus, Eines i&#x017F;t doch<lb/>
gewiß: daß ich nur &#x017F;ie in meinem Herzen hege! Daß<lb/>
ich nur ihrer gedenke; daß mir &#x017F;on&#x017F;t Alles auf Erden<lb/>
gleichgu&#x0364;ltig i&#x017F;t!</p><lb/>
        <p>Um nur etwas zu thun; um nur in die unma&#x0364;nn-<lb/>
liche Ab&#x017F;pannung, die &#x017F;ich &#x017F;einer bema&#x0364;chtigen wollte,<lb/>
einige Thatkraft zu bringen, &#x017F;chrieb er an &#x017F;einen Arzt<lb/>
in B. und be&#x017F;chwur die&#x017F;en, durch Vermittelung der<lb/>
geeigneten Beho&#x0364;rden auskund&#x017F;chaften zu la&#x017F;&#x017F;en, wo-<lb/>
hin Adele Jartour &#x017F;ich gewendet haben ko&#x0364;nne? Nach-<lb/>
dem er durch die&#x017F;en gefa&#x0364;lligen Go&#x0364;nner die Antwort<lb/>
empfing, ihr Rei&#x017F;epaß &#x017F;ei bei der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;and-<lb/>
&#x017F;chaft nach Paris vi&#x017F;irt worden, wendete er &#x017F;ich<lb/>
geradezu an &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t, ergoß in einem langen, &#x017F;ehr<lb/>
ausfu&#x0364;hrlichen Briefe &#x017F;ein ganzes volles Herz, richtete<lb/>
auf gutes Glu&#x0364;ck die&#x017F;e Epi&#x017F;tel an Adele Jartour, er&#x017F;te<lb/>
Reiterin beim olympi&#x017F;chen Cirkus der Gebru&#x0364;der Fran-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0169] Auge auf ſchneebedeckte Mauern, auf andere. Daͤcher, auf Giebel und Schornſteine ſtarrte, ſo lange, bis es ſchmerzhaft geblendet von Thraͤnen uͤberfloß. Was er nun fuͤr Adelen fuͤhle, wurde ihm ſelbſt kaum deut- lich: war es beleidigter Stolz, der ihn zuͤrnen ließ? War es ſchwermuͤthige Sehnſucht, dankbare Anhaͤng- lichkeit, die den Groll in Liebe umwandelte? — Gleichviel! — Was es ſei, rief er aus, Eines iſt doch gewiß: daß ich nur ſie in meinem Herzen hege! Daß ich nur ihrer gedenke; daß mir ſonſt Alles auf Erden gleichguͤltig iſt! Um nur etwas zu thun; um nur in die unmaͤnn- liche Abſpannung, die ſich ſeiner bemaͤchtigen wollte, einige Thatkraft zu bringen, ſchrieb er an ſeinen Arzt in B. und beſchwur dieſen, durch Vermittelung der geeigneten Behoͤrden auskundſchaften zu laſſen, wo- hin Adele Jartour ſich gewendet haben koͤnne? Nach- dem er durch dieſen gefaͤlligen Goͤnner die Antwort empfing, ihr Reiſepaß ſei bei der franzoͤſiſchen Geſand- ſchaft nach Paris viſirt worden, wendete er ſich geradezu an ſie ſelbſt, ergoß in einem langen, ſehr ausfuͤhrlichen Briefe ſein ganzes volles Herz, richtete auf gutes Gluͤck dieſe Epiſtel an Adele Jartour, erſte Reiterin beim olympiſchen Cirkus der Gebruͤder Fran-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/169
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/169>, abgerufen am 07.05.2024.