Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

mit angesehen, war bei Jenem hinreißend schön. Der
strenge Geschäftsmann, der unerbittliche Richter, der
tapf're Feldherr, die Betschwester, der strenge Ge-
lehrte, wie die Kinder der Erde und des Leichtsinns,...
jeder ohne Ausnahme, jeder war gleich entzückt von
ihm. Kraft und Grazie vereinten sich bei diesem jun-
gen Menschen mit einer Fertigkeit, von der unsere
Jongleurs keine Ahnung haben. Was bei ihnen ein
einzelnes Kunststück bildet, war bei Moto Sami nur
das Fünftheil einer Produktion: mit den großen Fuß-
zehen schwang er goldene Ringe in Kreisen nach
Jnnen; mit den Daumen der Hände andere Ringe
in entgegengesetzten Kreisen nach Außen; auf der
Stirn balanzirte er einen Sonnenschirm, den ein
chinesisches Dach, von kleinen Vögeln besetzt, schmückte;
mit den Lippen hielt er ein Blaserohr, durch welches
er Erbsen nach jenen Vögeln schoß und deren nicht
einen verfehlte; und während dies Alles geschah,
reihete er eine Handvoll Korallen, die er vorher in
den Mund genommen, mit der Zunge an einen Faden,
der sodann als perlender Faden herauskam. Der
arme Teufel, der so viel erlernet, konnte unser geseg-
netes Klima nicht ertragen lernen: er starb aus
Sehnsucht nach den Ufern des Ganges und nebenbei

Die Vagabunden. II. 14

mit angeſehen, war bei Jenem hinreißend ſchoͤn. Der
ſtrenge Geſchaͤftsmann, der unerbittliche Richter, der
tapf’re Feldherr, die Betſchweſter, der ſtrenge Ge-
lehrte, wie die Kinder der Erde und des Leichtſinns,...
jeder ohne Ausnahme, jeder war gleich entzuͤckt von
ihm. Kraft und Grazie vereinten ſich bei dieſem jun-
gen Menſchen mit einer Fertigkeit, von der unſere
Jongleurs keine Ahnung haben. Was bei ihnen ein
einzelnes Kunſtſtuͤck bildet, war bei Moto Sami nur
das Fuͤnftheil einer Produktion: mit den großen Fuß-
zehen ſchwang er goldene Ringe in Kreiſen nach
Jnnen; mit den Daumen der Haͤnde andere Ringe
in entgegengeſetzten Kreiſen nach Außen; auf der
Stirn balanzirte er einen Sonnenſchirm, den ein
chineſiſches Dach, von kleinen Voͤgeln beſetzt, ſchmuͤckte;
mit den Lippen hielt er ein Blaſerohr, durch welches
er Erbſen nach jenen Voͤgeln ſchoß und deren nicht
einen verfehlte; und waͤhrend dies Alles geſchah,
reihete er eine Handvoll Korallen, die er vorher in
den Mund genommen, mit der Zunge an einen Faden,
der ſodann als perlender Faden herauskam. Der
arme Teufel, der ſo viel erlernet, konnte unſer geſeg-
netes Klima nicht ertragen lernen: er ſtarb aus
Sehnſucht nach den Ufern des Ganges und nebenbei

Die Vagabunden. II. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0211" n="209"/>
mit ange&#x017F;ehen, war bei Jenem hinreißend &#x017F;cho&#x0364;n. Der<lb/>
&#x017F;trenge Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsmann, der unerbittliche Richter, der<lb/>
tapf&#x2019;re Feldherr, die Bet&#x017F;chwe&#x017F;ter, der &#x017F;trenge Ge-<lb/>
lehrte, wie die Kinder der Erde und des Leicht&#x017F;inns,...<lb/>
jeder ohne Ausnahme, jeder war gleich entzu&#x0364;ckt von<lb/>
ihm. Kraft und Grazie vereinten &#x017F;ich bei die&#x017F;em jun-<lb/>
gen Men&#x017F;chen mit einer Fertigkeit, von der un&#x017F;ere<lb/>
Jongleurs keine Ahnung haben. Was bei ihnen ein<lb/>
einzelnes Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck bildet, war bei Moto Sami nur<lb/>
das Fu&#x0364;nftheil einer Produktion: mit den großen Fuß-<lb/>
zehen &#x017F;chwang er goldene Ringe in Krei&#x017F;en nach<lb/>
Jnnen; mit den Daumen der Ha&#x0364;nde andere Ringe<lb/>
in entgegenge&#x017F;etzten Krei&#x017F;en nach Außen; auf der<lb/>
Stirn balanzirte er einen Sonnen&#x017F;chirm, den ein<lb/>
chine&#x017F;i&#x017F;ches Dach, von kleinen Vo&#x0364;geln be&#x017F;etzt, &#x017F;chmu&#x0364;ckte;<lb/>
mit den Lippen hielt er ein Bla&#x017F;erohr, durch welches<lb/>
er Erb&#x017F;en nach jenen Vo&#x0364;geln &#x017F;choß und deren nicht<lb/>
einen verfehlte; und wa&#x0364;hrend dies Alles ge&#x017F;chah,<lb/>
reihete er eine Handvoll Korallen, die er vorher in<lb/>
den Mund genommen, mit der Zunge an einen Faden,<lb/>
der &#x017F;odann als perlender Faden herauskam. Der<lb/>
arme Teufel, der &#x017F;o viel erlernet, konnte un&#x017F;er ge&#x017F;eg-<lb/>
netes Klima nicht ertragen lernen: er &#x017F;tarb aus<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nach den Ufern des Ganges und nebenbei<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die Vagabunden. <hi rendition="#aq">II.</hi> 14</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0211] mit angeſehen, war bei Jenem hinreißend ſchoͤn. Der ſtrenge Geſchaͤftsmann, der unerbittliche Richter, der tapf’re Feldherr, die Betſchweſter, der ſtrenge Ge- lehrte, wie die Kinder der Erde und des Leichtſinns,... jeder ohne Ausnahme, jeder war gleich entzuͤckt von ihm. Kraft und Grazie vereinten ſich bei dieſem jun- gen Menſchen mit einer Fertigkeit, von der unſere Jongleurs keine Ahnung haben. Was bei ihnen ein einzelnes Kunſtſtuͤck bildet, war bei Moto Sami nur das Fuͤnftheil einer Produktion: mit den großen Fuß- zehen ſchwang er goldene Ringe in Kreiſen nach Jnnen; mit den Daumen der Haͤnde andere Ringe in entgegengeſetzten Kreiſen nach Außen; auf der Stirn balanzirte er einen Sonnenſchirm, den ein chineſiſches Dach, von kleinen Voͤgeln beſetzt, ſchmuͤckte; mit den Lippen hielt er ein Blaſerohr, durch welches er Erbſen nach jenen Voͤgeln ſchoß und deren nicht einen verfehlte; und waͤhrend dies Alles geſchah, reihete er eine Handvoll Korallen, die er vorher in den Mund genommen, mit der Zunge an einen Faden, der ſodann als perlender Faden herauskam. Der arme Teufel, der ſo viel erlernet, konnte unſer geſeg- netes Klima nicht ertragen lernen: er ſtarb aus Sehnſucht nach den Ufern des Ganges und nebenbei Die Vagabunden. II. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/211
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/211>, abgerufen am 02.05.2024.