Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Städten längeren Aufenthalt machen, hatte sich auch
in B. eine Anzahl täglicher Besucher gesammelt,
die Theilnahme für die Reitkunst, Passion für Pferde-
Dressur, Bewunderung für dieses oder jenes Frauen-
zimmer, Müssiggang, Gewohnheit, wohl gar ein
poetisch-romantischer Hang dahin zieht, wo die nüch-
ternste, niedrigste Prosa sich hinter gleißende Gewän-
der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen-
reiz oft so glücklich zu verbergen weiß, daß nur ein
scharf geübtes Auge sie herauszufinden vermag.

Die aus den verschiedensten Lebensaltern durch-
einander geworfenen habitue's -- (ich finde kein so
bezeichnendes deutsches Wort) -- vom Greise bis
zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach für
Nebenbuhler des Bajazzo erklärt werden: sie verein-
ten sich in Bewunderung für die Persönlichkeit von
Madame Adelaide. Doch konnte diese Bewunderung
nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi-
selle Adele Jartour die bessere, elegantere Reiterin,
die sinnige Darstellerin ihrer kleinen Sattelscenen, die
Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade-
laide mehr durch üppige Schönheit glänzte. Diese
aber war die Frau nicht, andere Göttinnen zu dulden
neben sich; sie hatte dem un[t]er ihrem Pantoffel gleich-

Staͤdten laͤngeren Aufenthalt machen, hatte ſich auch
in B. eine Anzahl taͤglicher Beſucher geſammelt,
die Theilnahme fuͤr die Reitkunſt, Paſſion fuͤr Pferde-
Dreſſur, Bewunderung fuͤr dieſes oder jenes Frauen-
zimmer, Muͤſſiggang, Gewohnheit, wohl gar ein
poetiſch-romantiſcher Hang dahin zieht, wo die nuͤch-
ternſte, niedrigſte Proſa ſich hinter gleißende Gewaͤn-
der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen-
reiz oft ſo gluͤcklich zu verbergen weiß, daß nur ein
ſcharf geuͤbtes Auge ſie herauszufinden vermag.

Die aus den verſchiedenſten Lebensaltern durch-
einander geworfenen habitue’s — (ich finde kein ſo
bezeichnendes deutſches Wort) — vom Greiſe bis
zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach fuͤr
Nebenbuhler des Bajazzo erklaͤrt werden: ſie verein-
ten ſich in Bewunderung fuͤr die Perſoͤnlichkeit von
Madame Adelaide. Doch konnte dieſe Bewunderung
nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi-
ſelle Adele Jartour die beſſere, elegantere Reiterin,
die ſinnige Darſtellerin ihrer kleinen Sattelſcenen, die
Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade-
laide mehr durch uͤppige Schoͤnheit glaͤnzte. Dieſe
aber war die Frau nicht, andere Goͤttinnen zu dulden
neben ſich; ſie hatte dem un[t]er ihrem Pantoffel gleich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="20"/>
Sta&#x0364;dten la&#x0364;ngeren Aufenthalt machen, hatte &#x017F;ich auch<lb/>
in B. eine Anzahl ta&#x0364;glicher Be&#x017F;ucher ge&#x017F;ammelt,<lb/>
die Theilnahme fu&#x0364;r die Reitkun&#x017F;t, Pa&#x017F;&#x017F;ion fu&#x0364;r Pferde-<lb/>
Dre&#x017F;&#x017F;ur, Bewunderung fu&#x0364;r die&#x017F;es oder jenes Frauen-<lb/>
zimmer, Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iggang, Gewohnheit, wohl gar ein<lb/>
poeti&#x017F;ch-romanti&#x017F;cher Hang dahin zieht, wo die nu&#x0364;ch-<lb/>
tern&#x017F;te, niedrig&#x017F;te Pro&#x017F;a &#x017F;ich hinter gleißende Gewa&#x0364;n-<lb/>
der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen-<lb/>
reiz oft &#x017F;o glu&#x0364;cklich zu verbergen weiß, daß nur ein<lb/>
&#x017F;charf geu&#x0364;btes Auge &#x017F;ie herauszufinden vermag.</p><lb/>
        <p>Die aus den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Lebensaltern durch-<lb/>
einander geworfenen <hi rendition="#aq">habitue&#x2019;</hi>s &#x2014; (ich finde kein &#x017F;o<lb/>
bezeichnendes deut&#x017F;ches Wort) &#x2014; vom Grei&#x017F;e bis<lb/>
zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach fu&#x0364;r<lb/>
Nebenbuhler des Bajazzo erkla&#x0364;rt werden: &#x017F;ie verein-<lb/>
ten &#x017F;ich in Bewunderung fu&#x0364;r die Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit von<lb/>
Madame Adelaide. Doch konnte die&#x017F;e Bewunderung<lb/>
nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi-<lb/>
&#x017F;elle Adele Jartour die be&#x017F;&#x017F;ere, elegantere Reiterin,<lb/>
die &#x017F;innige Dar&#x017F;tellerin ihrer kleinen Sattel&#x017F;cenen, die<lb/>
Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade-<lb/>
laide mehr durch u&#x0364;ppige Scho&#x0364;nheit gla&#x0364;nzte. Die&#x017F;e<lb/>
aber war die Frau nicht, andere Go&#x0364;ttinnen zu dulden<lb/>
neben &#x017F;ich; &#x017F;ie hatte dem un<supplied>t</supplied>er ihrem Pantoffel gleich-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0022] Staͤdten laͤngeren Aufenthalt machen, hatte ſich auch in B. eine Anzahl taͤglicher Beſucher geſammelt, die Theilnahme fuͤr die Reitkunſt, Paſſion fuͤr Pferde- Dreſſur, Bewunderung fuͤr dieſes oder jenes Frauen- zimmer, Muͤſſiggang, Gewohnheit, wohl gar ein poetiſch-romantiſcher Hang dahin zieht, wo die nuͤch- ternſte, niedrigſte Proſa ſich hinter gleißende Gewaͤn- der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen- reiz oft ſo gluͤcklich zu verbergen weiß, daß nur ein ſcharf geuͤbtes Auge ſie herauszufinden vermag. Die aus den verſchiedenſten Lebensaltern durch- einander geworfenen habitue’s — (ich finde kein ſo bezeichnendes deutſches Wort) — vom Greiſe bis zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach fuͤr Nebenbuhler des Bajazzo erklaͤrt werden: ſie verein- ten ſich in Bewunderung fuͤr die Perſoͤnlichkeit von Madame Adelaide. Doch konnte dieſe Bewunderung nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi- ſelle Adele Jartour die beſſere, elegantere Reiterin, die ſinnige Darſtellerin ihrer kleinen Sattelſcenen, die Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade- laide mehr durch uͤppige Schoͤnheit glaͤnzte. Dieſe aber war die Frau nicht, andere Goͤttinnen zu dulden neben ſich; ſie hatte dem unter ihrem Pantoffel gleich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/22
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/22>, abgerufen am 29.04.2024.