Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Zauber schien ihm jetzt erst aus den Zügen, welche
der letzte Augenblick umgewandelt, die Erinnerung
aufzudämmern, daß er diese Frau gekannt habe, frü-
her schon, ehe noch er den Puppenspieler aufgesucht!
Dieses Antlitz mahnte ihn an Paris! Nur daß die
Krankheit mit ihren Qualen es bis zur Unkenntlich-
keit entstellt, nur daß der Tod mit seiner Versöhnung
es wieder kenntlich gemacht: ja, die Gesuchte, Erwar-
tete, Verheißene lag vor ihm; es war die Carina!

Sogleich stürmte er, Hedwig's Vater, sogar Hed-
wig und die Trennung von ihr vergessend, mit Fra-
gen in den armen Greis, der von Gram und Trunk
gebeugt, gleichgültig auf die Hülle der Gefährtin
stierte. Dieser schüttelte nur das graue Haupt und
brummte: "Sie ist hin; todt ist todt! kein Kasperle
mehr!"

Weiter war nichts herauszubringen.

Erst wollte Anton zornig werden über die thie-
rische Stumpfheit des alten Menschen. Bald jedoch
dachte er wieder an der Dahingeschiedenen Bitte, für
die letzten Stunden dem Hülflosen mitleidige Für-
sorge zu gönnen; er bezwang seinen Widerwillen und
brachte den Puppenspieler zu Bette.

Dann rief er Leute aus dem Hause herbei und

Zauber ſchien ihm jetzt erſt aus den Zuͤgen, welche
der letzte Augenblick umgewandelt, die Erinnerung
aufzudaͤmmern, daß er dieſe Frau gekannt habe, fruͤ-
her ſchon, ehe noch er den Puppenſpieler aufgeſucht!
Dieſes Antlitz mahnte ihn an Paris! Nur daß die
Krankheit mit ihren Qualen es bis zur Unkenntlich-
keit entſtellt, nur daß der Tod mit ſeiner Verſoͤhnung
es wieder kenntlich gemacht: ja, die Geſuchte, Erwar-
tete, Verheißene lag vor ihm; es war die Carina!

Sogleich ſtuͤrmte er, Hedwig’s Vater, ſogar Hed-
wig und die Trennung von ihr vergeſſend, mit Fra-
gen in den armen Greis, der von Gram und Trunk
gebeugt, gleichguͤltig auf die Huͤlle der Gefaͤhrtin
ſtierte. Dieſer ſchuͤttelte nur das graue Haupt und
brummte: „Sie iſt hin; todt iſt todt! kein Kasperle
mehr!“

Weiter war nichts herauszubringen.

Erſt wollte Anton zornig werden uͤber die thie-
riſche Stumpfheit des alten Menſchen. Bald jedoch
dachte er wieder an der Dahingeſchiedenen Bitte, fuͤr
die letzten Stunden dem Huͤlfloſen mitleidige Fuͤr-
ſorge zu goͤnnen; er bezwang ſeinen Widerwillen und
brachte den Puppenſpieler zu Bette.

Dann rief er Leute aus dem Hauſe herbei und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="214"/>
Zauber &#x017F;chien ihm jetzt er&#x017F;t aus den Zu&#x0364;gen, welche<lb/>
der letzte Augenblick umgewandelt, die Erinnerung<lb/>
aufzuda&#x0364;mmern, daß er die&#x017F;e Frau gekannt habe, fru&#x0364;-<lb/>
her &#x017F;chon, ehe noch er den Puppen&#x017F;pieler aufge&#x017F;ucht!<lb/>
Die&#x017F;es Antlitz mahnte ihn an Paris! Nur daß die<lb/>
Krankheit mit ihren Qualen es bis zur Unkenntlich-<lb/>
keit ent&#x017F;tellt, nur daß der Tod mit &#x017F;einer Ver&#x017F;o&#x0364;hnung<lb/>
es wieder kenntlich gemacht: ja, die Ge&#x017F;uchte, Erwar-<lb/>
tete, Verheißene lag vor ihm; es war die <hi rendition="#g">Carina!</hi></p><lb/>
        <p>Sogleich &#x017F;tu&#x0364;rmte er, Hedwig&#x2019;s Vater, &#x017F;ogar Hed-<lb/>
wig und die Trennung von ihr verge&#x017F;&#x017F;end, mit Fra-<lb/>
gen in den armen Greis, der von Gram und Trunk<lb/>
gebeugt, gleichgu&#x0364;ltig auf die Hu&#x0364;lle der Gefa&#x0364;hrtin<lb/>
&#x017F;tierte. Die&#x017F;er &#x017F;chu&#x0364;ttelte nur das graue Haupt und<lb/>
brummte: &#x201E;Sie i&#x017F;t hin; todt i&#x017F;t todt! kein Kasperle<lb/>
mehr!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Weiter war nichts herauszubringen.</p><lb/>
        <p>Er&#x017F;t wollte Anton zornig werden u&#x0364;ber die thie-<lb/>
ri&#x017F;che Stumpfheit des alten Men&#x017F;chen. Bald jedoch<lb/>
dachte er wieder an der Dahinge&#x017F;chiedenen Bitte, fu&#x0364;r<lb/>
die letzten Stunden dem Hu&#x0364;lflo&#x017F;en mitleidige Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;orge zu go&#x0364;nnen; er bezwang &#x017F;einen Widerwillen und<lb/>
brachte den Puppen&#x017F;pieler zu Bette.</p><lb/>
        <p>Dann rief er Leute aus dem Hau&#x017F;e herbei und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0218] Zauber ſchien ihm jetzt erſt aus den Zuͤgen, welche der letzte Augenblick umgewandelt, die Erinnerung aufzudaͤmmern, daß er dieſe Frau gekannt habe, fruͤ- her ſchon, ehe noch er den Puppenſpieler aufgeſucht! Dieſes Antlitz mahnte ihn an Paris! Nur daß die Krankheit mit ihren Qualen es bis zur Unkenntlich- keit entſtellt, nur daß der Tod mit ſeiner Verſoͤhnung es wieder kenntlich gemacht: ja, die Geſuchte, Erwar- tete, Verheißene lag vor ihm; es war die Carina! Sogleich ſtuͤrmte er, Hedwig’s Vater, ſogar Hed- wig und die Trennung von ihr vergeſſend, mit Fra- gen in den armen Greis, der von Gram und Trunk gebeugt, gleichguͤltig auf die Huͤlle der Gefaͤhrtin ſtierte. Dieſer ſchuͤttelte nur das graue Haupt und brummte: „Sie iſt hin; todt iſt todt! kein Kasperle mehr!“ Weiter war nichts herauszubringen. Erſt wollte Anton zornig werden uͤber die thie- riſche Stumpfheit des alten Menſchen. Bald jedoch dachte er wieder an der Dahingeſchiedenen Bitte, fuͤr die letzten Stunden dem Huͤlfloſen mitleidige Fuͤr- ſorge zu goͤnnen; er bezwang ſeinen Widerwillen und brachte den Puppenſpieler zu Bette. Dann rief er Leute aus dem Hauſe herbei und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/218
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/218>, abgerufen am 18.05.2024.