weichen und wies jede Annäherung, in sofern sie gol- dene Entschädigungen betraf, so stolz von mir ab, daß ich beide gänzlich einschüchterte. Dagegen wurd' es mir leicht, den ehrlichen gutmüthigen Menschen abzu- fragen, wo Deines Vaters Braut lebe. Es war nicht weit von Erlenstein; kaum drei Meilen entfernt. Nun wußte ich genug und ich machte mich auf den Weg, verwildert und wüst, wie ich aussah, eine rechte Land- läuferin. Der kleine Gärtner und seine kleine Frau wagten nicht, mir Widerstand zu leisten. Sie ent- ließen mich mit Achselzucken und Thränen, als woll- ten sie sagen: sie rennt in ihr Verderben, sie ist verrückt!
Jch langte in Sophienthal wieder mit der Abend- dämmerung an. Das Dorf besteht aus einer langen Gasse, in deren Mitte die Kirche liegt. Das herr- schaftliche Schloß, mitten in einem waldartigen Park befindlich, war nicht zu erblicken. Vor einem hübschen Hause, der Kirche gegenüber, stand eine junge Frau, welche, da sie mich erblickte, mir schon von Weitem entgegenrief: "Sind Sie es, Gräfin Julie?" Jch gab keine Antwort. Als ich mich näherte, wich sie erschrocken zurück. Jch glaubte in ihr die Gattin des Predigers zu erkennen, weil sie das stattlichste Haus und so nahe der Kirche bewohnte; deshalb redete ich
weichen und wies jede Annaͤherung, in ſofern ſie gol- dene Entſchaͤdigungen betraf, ſo ſtolz von mir ab, daß ich beide gaͤnzlich einſchuͤchterte. Dagegen wurd’ es mir leicht, den ehrlichen gutmuͤthigen Menſchen abzu- fragen, wo Deines Vaters Braut lebe. Es war nicht weit von Erlenſtein; kaum drei Meilen entfernt. Nun wußte ich genug und ich machte mich auf den Weg, verwildert und wuͤſt, wie ich ausſah, eine rechte Land- laͤuferin. Der kleine Gaͤrtner und ſeine kleine Frau wagten nicht, mir Widerſtand zu leiſten. Sie ent- ließen mich mit Achſelzucken und Thraͤnen, als woll- ten ſie ſagen: ſie rennt in ihr Verderben, ſie iſt verruͤckt!
Jch langte in Sophienthal wieder mit der Abend- daͤmmerung an. Das Dorf beſteht aus einer langen Gaſſe, in deren Mitte die Kirche liegt. Das herr- ſchaftliche Schloß, mitten in einem waldartigen Park befindlich, war nicht zu erblicken. Vor einem huͤbſchen Hauſe, der Kirche gegenuͤber, ſtand eine junge Frau, welche, da ſie mich erblickte, mir ſchon von Weitem entgegenrief: „Sind Sie es, Graͤfin Julie?“ Jch gab keine Antwort. Als ich mich naͤherte, wich ſie erſchrocken zuruͤck. Jch glaubte in ihr die Gattin des Predigers zu erkennen, weil ſie das ſtattlichſte Haus und ſo nahe der Kirche bewohnte; deshalb redete ich
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weichen und wies jede Annaͤherung, in ſofern ſie gol-
dene Entſchaͤdigungen betraf, ſo ſtolz von mir ab, daß
ich beide gaͤnzlich einſchuͤchterte. Dagegen wurd’ es
mir leicht, den ehrlichen gutmuͤthigen Menſchen abzu-
fragen, wo Deines Vaters Braut lebe. Es war nicht
weit von Erlenſtein; kaum drei Meilen entfernt. Nun
wußte ich genug und ich machte mich auf den Weg,
verwildert und wuͤſt, wie ich ausſah, eine rechte Land-
laͤuferin. Der kleine Gaͤrtner und ſeine kleine Frau
wagten nicht, mir Widerſtand zu leiſten. Sie ent-
ließen mich mit Achſelzucken und Thraͤnen, als woll-
ten ſie ſagen: ſie rennt in ihr Verderben, ſie iſt verruͤckt!
Jch langte in Sophienthal wieder mit der Abend-
daͤmmerung an. Das Dorf beſteht aus einer langen
Gaſſe, in deren Mitte die Kirche liegt. Das herr-
ſchaftliche Schloß, mitten in einem waldartigen Park
befindlich, war nicht zu erblicken. Vor einem huͤbſchen
Hauſe, der Kirche gegenuͤber, ſtand eine junge Frau,
welche, da ſie mich erblickte, mir ſchon von Weitem
entgegenrief: „Sind Sie es, Graͤfin Julie?“ Jch
gab keine Antwort. Als ich mich naͤherte, wich ſie
erſchrocken zuruͤck. Jch glaubte in ihr die Gattin des
Predigers zu erkennen, weil ſie das ſtattlichſte Haus
und ſo nahe der Kirche bewohnte; deshalb redete ich
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/244>, abgerufen am 19.05.2024.
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