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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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übler Laune marterte, war ihr besser; fügte sie sich
leichter in die Trennung von Anton. Seitdem er
sanft, dankbar, gütig die freundlichste Theilnahme, ja
Reue zeigte, fand sie kaum mehr Kraft, sich neben
ihm aufrecht zu erhalten. Die Weichheit des sonst so
strengen Mannes lösete sie völlig auf.

Sie gingen, sie wankten vielmehr aus, des lauen
Abendes froh zu werden. Beide, Vater wie Tochter,
liebten jene Wege nicht, wo die Kleinstädter zu lust-
wandeln pflegten, weil er seine krummen Glieder, sie
ihren Gram nicht gern zur Schau trugen. Sie hiel-
ten sich deshalb gewöhnlich nach einem kleinen Wäld-
chen hin, zu welchem kein Gasthaus mit Bier und
Spiel die ehrsame Einwohnerschaft lockte. Dort hin-
aus ging's beim "Armen-Spittel" vorüber, wo
Dreher sich eingekauft. Weiter hinaus noch lag das
ehemalige Hochgericht, jetzt eine Ruine, und diesem
gegenüber ein schlechtverwahrter Begräbniß-Platz,
zunächst für die Hospitaliter, daneben auch für Fremde
bestimmt, die auf dem schönen, Garten-ähnlichen
Friedhofe der Bürgerschaft nicht Platz finden konnten.
Dort auch lag Antoinette begraben, was Hedwig
nicht wußte, weil sie in jenen Tagen nichts gesehen
und gehört, als ihres Vaters Leiden.

uͤbler Laune marterte, war ihr beſſer; fuͤgte ſie ſich
leichter in die Trennung von Anton. Seitdem er
ſanft, dankbar, guͤtig die freundlichſte Theilnahme, ja
Reue zeigte, fand ſie kaum mehr Kraft, ſich neben
ihm aufrecht zu erhalten. Die Weichheit des ſonſt ſo
ſtrengen Mannes loͤſete ſie voͤllig auf.

Sie gingen, ſie wankten vielmehr aus, des lauen
Abendes froh zu werden. Beide, Vater wie Tochter,
liebten jene Wege nicht, wo die Kleinſtaͤdter zu luſt-
wandeln pflegten, weil er ſeine krummen Glieder, ſie
ihren Gram nicht gern zur Schau trugen. Sie hiel-
ten ſich deshalb gewoͤhnlich nach einem kleinen Waͤld-
chen hin, zu welchem kein Gaſthaus mit Bier und
Spiel die ehrſame Einwohnerſchaft lockte. Dort hin-
aus ging’s beim „Armen-Spittel“ voruͤber, wo
Dreher ſich eingekauft. Weiter hinaus noch lag das
ehemalige Hochgericht, jetzt eine Ruine, und dieſem
gegenuͤber ein ſchlechtverwahrter Begraͤbniß-Platz,
zunaͤchſt fuͤr die Hoſpitaliter, daneben auch fuͤr Fremde
beſtimmt, die auf dem ſchoͤnen, Garten-aͤhnlichen
Friedhofe der Buͤrgerſchaft nicht Platz finden konnten.
Dort auch lag Antoinette begraben, was Hedwig
nicht wußte, weil ſie in jenen Tagen nichts geſehen
und gehoͤrt, als ihres Vaters Leiden.

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[132/0136] uͤbler Laune marterte, war ihr beſſer; fuͤgte ſie ſich leichter in die Trennung von Anton. Seitdem er ſanft, dankbar, guͤtig die freundlichſte Theilnahme, ja Reue zeigte, fand ſie kaum mehr Kraft, ſich neben ihm aufrecht zu erhalten. Die Weichheit des ſonſt ſo ſtrengen Mannes loͤſete ſie voͤllig auf. Sie gingen, ſie wankten vielmehr aus, des lauen Abendes froh zu werden. Beide, Vater wie Tochter, liebten jene Wege nicht, wo die Kleinſtaͤdter zu luſt- wandeln pflegten, weil er ſeine krummen Glieder, ſie ihren Gram nicht gern zur Schau trugen. Sie hiel- ten ſich deshalb gewoͤhnlich nach einem kleinen Waͤld- chen hin, zu welchem kein Gaſthaus mit Bier und Spiel die ehrſame Einwohnerſchaft lockte. Dort hin- aus ging’s beim „Armen-Spittel“ voruͤber, wo Dreher ſich eingekauft. Weiter hinaus noch lag das ehemalige Hochgericht, jetzt eine Ruine, und dieſem gegenuͤber ein ſchlechtverwahrter Begraͤbniß-Platz, zunaͤchſt fuͤr die Hoſpitaliter, daneben auch fuͤr Fremde beſtimmt, die auf dem ſchoͤnen, Garten-aͤhnlichen Friedhofe der Buͤrgerſchaft nicht Platz finden konnten. Dort auch lag Antoinette begraben, was Hedwig nicht wußte, weil ſie in jenen Tagen nichts geſehen und gehoͤrt, als ihres Vaters Leiden.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/136>, abgerufen am 03.05.2024.