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Holz, Arno; Schlaf, Johannes: Die Familie Selicke. Berlin, 1890.

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doch nicht stärker, als Du bist, Toni! Ich weiss
es ja, Toni! Siehst Du? Ich weiss es ja, dass
Du dich hier heraussehnst! ...
Toni: O, wenn man mal ... 'n bischen ... unge-
duldig ist! ... Das habe ich nur so -- hin-
geschrieben!
Wendt: Nur so ...? Ach was! Das glaubst Du
ja selbst nicht, Toni! Das war ja ganz natür-
lich?! Ganz berechtigt?!
Toni: Ach, sprechen Sie doch nicht mehr davon!
... Ich bitte Sie! ... Sprechen Sie nicht mehr
davon!
Wendt: Siehst Du? Du hast Angst, das zu hören!
Aber doch! Grade musst Du das hören! Die
Aufopferung muss auch ihre Grenze haben! ...
Zweiundzwanzig Jahre! Einen Tag nach dem
andern, Jahr aus, Jahr ein, immer dasselbe
Elend, dieselbe Noth! Das ist ja geradezu der
pure Selbstmord! Nein! Du musst hier fort!
Du hast ein Recht, an Dich und Deine Zu-
kunft zu denken! ... Warum sollst Du hier
verkümmern?! Warum?! Was kann Dich dazu
verpflichten?! ... Was hat Dein Vater und Deine
Mutter gethan, dass sie das verdienen?! Nun?!
... Haben Sie an Deine Zukunft gedacht?!
Toni: Ich ... ich weiss nicht! ... Ach, reden Sie
doch nicht so! Sagen Sie doch das nicht!
Wendt: Heute, am heiligen Abend, sitzst Du
da in Angst und Bangen, wo sich Jeder freut,
und flickst Dich krank! Nein! Das ist -- em-
pörend!! Das ... Sieh mal, Toni! Warum sollte
es nicht gehn? Sieh mal! Thust Du ihnen denn
nicht selber einen Gefallen? Es muss ihnen doch
nur lieb sein, wenn Du "versorgt" bist?! Wenn
sie einen "Esser wen'ger" haben! Ist Dein Vater
nicht vielleicht grade deshalb so, weil er sich
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doch nicht stärker, als Du bist, Toni! Ich weiss
es ja, Toni! Siehst Du? Ich weiss es ja, dass
Du dich hier heraussehnst! …
Toni: O, wenn man mal … ’n bischen … unge-
duldig ist! … Das habe ich nur so — hin-
geschrieben!
Wendt: Nur so …? Ach was! Das glaubst Du
ja selbst nicht, Toni! Das war ja ganz natür-
lich?! Ganz berechtigt?!
Toni: Ach, sprechen Sie doch nicht mehr davon!
… Ich bitte Sie! … Sprechen Sie nicht mehr
davon!
Wendt: Siehst Du? Du hast Angst, das zu hören!
Aber doch! Grade musst Du das hören! Die
Aufopferung muss auch ihre Grenze haben! …
Zweiundzwanzig Jahre! Einen Tag nach dem
andern, Jahr aus, Jahr ein, immer dasselbe
Elend, dieselbe Noth! Das ist ja geradezu der
pure Selbstmord! Nein! Du musst hier fort!
Du hast ein Recht, an Dich und Deine Zu-
kunft zu denken! … Warum sollst Du hier
verkümmern?! Warum?! Was kann Dich dazu
verpflichten?! … Was hat Dein Vater und Deine
Mutter gethan, dass sie das verdienen?! Nun?!
… Haben Sie an Deine Zukunft gedacht?!
Toni: Ich … ich weiss nicht! … Ach, reden Sie
doch nicht so! Sagen Sie doch das nicht!
Wendt: Heute, am heiligen Abend, sitzst Du
da in Angst und Bangen, wo sich Jeder freut,
und flickst Dich krank! Nein! Das ist — em-
pörend!! Das … Sieh mal, Toni! Warum sollte
es nicht gehn? Sieh mal! Thust Du ihnen denn
nicht selber einen Gefallen? Es muss ihnen doch
nur lieb sein, wenn Du „versorgt“ bist?! Wenn
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[35/0057] doch nicht stärker, als Du bist, Toni! Ich weiss es ja, Toni! Siehst Du? Ich weiss es ja, dass Du dich hier heraussehnst! … Toni: O, wenn man mal … ’n bischen … unge- duldig ist! … Das habe ich nur so — hin- geschrieben! Wendt: Nur so …? Ach was! Das glaubst Du ja selbst nicht, Toni! Das war ja ganz natür- lich?! Ganz berechtigt?! Toni: Ach, sprechen Sie doch nicht mehr davon! … Ich bitte Sie! … Sprechen Sie nicht mehr davon! Wendt: Siehst Du? Du hast Angst, das zu hören! Aber doch! Grade musst Du das hören! Die Aufopferung muss auch ihre Grenze haben! … Zweiundzwanzig Jahre! Einen Tag nach dem andern, Jahr aus, Jahr ein, immer dasselbe Elend, dieselbe Noth! Das ist ja geradezu der pure Selbstmord! Nein! Du musst hier fort! Du hast ein Recht, an Dich und Deine Zu- kunft zu denken! … Warum sollst Du hier verkümmern?! Warum?! Was kann Dich dazu verpflichten?! … Was hat Dein Vater und Deine Mutter gethan, dass sie das verdienen?! Nun?! … Haben Sie an Deine Zukunft gedacht?! Toni: Ich … ich weiss nicht! … Ach, reden Sie doch nicht so! Sagen Sie doch das nicht! Wendt: Heute, am heiligen Abend, sitzst Du da in Angst und Bangen, wo sich Jeder freut, und flickst Dich krank! Nein! Das ist — em- pörend!! Das … Sieh mal, Toni! Warum sollte es nicht gehn? Sieh mal! Thust Du ihnen denn nicht selber einen Gefallen? Es muss ihnen doch nur lieb sein, wenn Du „versorgt“ bist?! Wenn sie einen „Esser wen’ger“ haben! Ist Dein Vater nicht vielleicht grade deshalb so, weil er sich 3*

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Zitationshilfe: Holz, Arno; Schlaf, Johannes: Die Familie Selicke. Berlin, 1890, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_selicke_1890/57>, abgerufen am 02.05.2024.