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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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ge, unsre Wälder! wie verschwindet aller Men-
schenwitz, alle Menschenkraft vor der Schöpfung,
die der Hauch des Frühlings auf unsern Höhen
hervorruft! Was sind seine Werke, wenn er sei-
nen Blick auf die Scheitel unsrer Alpen richtet?
Wie ruft ihm da alles, alles, das mächtige We-
sen zu, vor dem seine Kraft schwindet, und von
dem sie ausgeht. -- Von dem sie auch ausgeht! --
Ist nicht alsdann die hier überall geäußerte Kraft
auch Offenbarung der Gottheit? -- nicht Er in
dieser Kunst, in dieser besiegten Natur, die hier
zu ruhen gedachte unter der stehenden Fluth, viel-
leicht ausruhen wollte unter ihr von vollendetem
Tagwerk, denn wer beweist mir, daß sie hier nicht
einst Gebirge verschlang?

Von Thiel aus nahten wir uns dem Rhein,
über den wir bei Rehnen auf einer Fähre übersetz-
ten. An der linken Seite des Weges fanden wir
noch manche zerstörte Hütte, die der Strom vori-
gen Frühling einriß. Ihre Besitzer hatten sich
einen Winkel darin bewohnbar gemacht, und ar-
beiteten, um sie wieder herzustellen. Durch die
offnen Wände sah man den geretteten Hausrath
stehen, lose Bretter verwehrten hie und da Sturm
und Regen den Eingang. Der Gang der Ver-

ge, unſre Waͤlder! wie verſchwindet aller Men-
ſchenwitz, alle Menſchenkraft vor der Schoͤpfung,
die der Hauch des Fruͤhlings auf unſern Hoͤhen
hervorruft! Was ſind ſeine Werke, wenn er ſei-
nen Blick auf die Scheitel unſrer Alpen richtet?
Wie ruft ihm da alles, alles, das maͤchtige We-
ſen zu, vor dem ſeine Kraft ſchwindet, und von
dem ſie ausgeht. — Von dem ſie auch ausgeht! —
Iſt nicht alsdann die hier uͤberall geaͤußerte Kraft
auch Offenbarung der Gottheit? — nicht Er in
dieſer Kunſt, in dieſer beſiegten Natur, die hier
zu ruhen gedachte unter der ſtehenden Fluth, viel-
leicht ausruhen wollte unter ihr von vollendetem
Tagwerk, denn wer beweiſt mir, daß ſie hier nicht
einſt Gebirge verſchlang?

Von Thiel aus nahten wir uns dem Rhein,
uͤber den wir bei Rehnen auf einer Faͤhre uͤberſetz-
ten. An der linken Seite des Weges fanden wir
noch manche zerſtoͤrte Huͤtte, die der Strom vori-
gen Fruͤhling einriß. Ihre Beſitzer hatten ſich
einen Winkel darin bewohnbar gemacht, und ar-
beiteten, um ſie wieder herzuſtellen. Durch die
offnen Waͤnde ſah man den geretteten Hausrath
ſtehen, loſe Bretter verwehrten hie und da Sturm
und Regen den Eingang. Der Gang der Ver-

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[112/0126] ge, unſre Waͤlder! wie verſchwindet aller Men- ſchenwitz, alle Menſchenkraft vor der Schoͤpfung, die der Hauch des Fruͤhlings auf unſern Hoͤhen hervorruft! Was ſind ſeine Werke, wenn er ſei- nen Blick auf die Scheitel unſrer Alpen richtet? Wie ruft ihm da alles, alles, das maͤchtige We- ſen zu, vor dem ſeine Kraft ſchwindet, und von dem ſie ausgeht. — Von dem ſie auch ausgeht! — Iſt nicht alsdann die hier uͤberall geaͤußerte Kraft auch Offenbarung der Gottheit? — nicht Er in dieſer Kunſt, in dieſer beſiegten Natur, die hier zu ruhen gedachte unter der ſtehenden Fluth, viel- leicht ausruhen wollte unter ihr von vollendetem Tagwerk, denn wer beweiſt mir, daß ſie hier nicht einſt Gebirge verſchlang? Von Thiel aus nahten wir uns dem Rhein, uͤber den wir bei Rehnen auf einer Faͤhre uͤberſetz- ten. An der linken Seite des Weges fanden wir noch manche zerſtoͤrte Huͤtte, die der Strom vori- gen Fruͤhling einriß. Ihre Beſitzer hatten ſich einen Winkel darin bewohnbar gemacht, und ar- beiteten, um ſie wieder herzuſtellen. Durch die offnen Waͤnde ſah man den geretteten Hausrath ſtehen, loſe Bretter verwehrten hie und da Sturm und Regen den Eingang. Der Gang der Ver-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/126>, abgerufen am 29.04.2024.