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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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gab mir, in der weit fortgerückten Jahreszeit der
Anblick eines großen Platzes voll blühender Stau-
den eine große Freude. Das Volk ist hier, wie
in ganz Holland sehr gut gekleidet, aber die Bett-
ler sind auch hier, so wie in ganz Holland, die
zerlumptesten, die ich je sah. Der Anblick ihres
Schmutzes und ihrer Blöße hat etwas Schauder-
volles, das sie von der übrigen Menschheit auszu-
schließen scheint. Wenn man bei dem Anblick ei-
nes solchen graubleichen Angesichts mit stieren Au-
gen und rauher Stimme denkt, daß dieser Mensch
vom Unglück der Zeiten in diese Lage gebracht
ward, so blickt man angstvoll zu den Bewohnern
der nahen Palläste auf, und sehnt sich in die nie-
dern Hütten des Landmanns, wo die Armuth nie
ihre Pfeile in das Gift peinigender Erinnerung an
Ueppigkeit taucht.

Auf meinen Wanderungen kam ich auch auf
den Platz, wo Erasmus Bildsäule errichtet ist.
Dieser Mann in seiner Mönchskutte und den ecki-
gen Hut oder Barett auf dem Haupte, ist kein
Gegenstand der plastischen Kunst. Es freut mich,
daß sein Andenken geehrt ist, aber an der Erhal-
tung dieser Gestalt liegt mir wenig.


gab mir, in der weit fortgeruͤckten Jahreszeit der
Anblick eines großen Platzes voll bluͤhender Stau-
den eine große Freude. Das Volk iſt hier, wie
in ganz Holland ſehr gut gekleidet, aber die Bett-
ler ſind auch hier, ſo wie in ganz Holland, die
zerlumpteſten, die ich je ſah. Der Anblick ihres
Schmutzes und ihrer Bloͤße hat etwas Schauder-
volles, das ſie von der uͤbrigen Menſchheit auszu-
ſchließen ſcheint. Wenn man bei dem Anblick ei-
nes ſolchen graubleichen Angeſichts mit ſtieren Au-
gen und rauher Stimme denkt, daß dieſer Menſch
vom Ungluͤck der Zeiten in dieſe Lage gebracht
ward, ſo blickt man angſtvoll zu den Bewohnern
der nahen Pallaͤſte auf, und ſehnt ſich in die nie-
dern Huͤtten des Landmanns, wo die Armuth nie
ihre Pfeile in das Gift peinigender Erinnerung an
Ueppigkeit taucht.

Auf meinen Wanderungen kam ich auch auf
den Platz, wo Erasmus Bildſaͤule errichtet iſt.
Dieſer Mann in ſeiner Moͤnchskutte und den ecki-
gen Hut oder Barett auf dem Haupte, iſt kein
Gegenſtand der plaſtiſchen Kunſt. Es freut mich,
daß ſein Andenken geehrt iſt, aber an der Erhal-
tung dieſer Geſtalt liegt mir wenig.


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[368/0382] gab mir, in der weit fortgeruͤckten Jahreszeit der Anblick eines großen Platzes voll bluͤhender Stau- den eine große Freude. Das Volk iſt hier, wie in ganz Holland ſehr gut gekleidet, aber die Bett- ler ſind auch hier, ſo wie in ganz Holland, die zerlumpteſten, die ich je ſah. Der Anblick ihres Schmutzes und ihrer Bloͤße hat etwas Schauder- volles, das ſie von der uͤbrigen Menſchheit auszu- ſchließen ſcheint. Wenn man bei dem Anblick ei- nes ſolchen graubleichen Angeſichts mit ſtieren Au- gen und rauher Stimme denkt, daß dieſer Menſch vom Ungluͤck der Zeiten in dieſe Lage gebracht ward, ſo blickt man angſtvoll zu den Bewohnern der nahen Pallaͤſte auf, und ſehnt ſich in die nie- dern Huͤtten des Landmanns, wo die Armuth nie ihre Pfeile in das Gift peinigender Erinnerung an Ueppigkeit taucht. Auf meinen Wanderungen kam ich auch auf den Platz, wo Erasmus Bildſaͤule errichtet iſt. Dieſer Mann in ſeiner Moͤnchskutte und den ecki- gen Hut oder Barett auf dem Haupte, iſt kein Gegenſtand der plaſtiſchen Kunſt. Es freut mich, daß ſein Andenken geehrt iſt, aber an der Erhal- tung dieſer Geſtalt liegt mir wenig.

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/382>, abgerufen am 14.05.2024.