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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Monate mit Schnee bedeckt. Wahrscheinlich bilden sich unter
der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den
Gletschern in der Schweiz, die beständig eine niedrigere Tem-
peratur haben als der Boden, auf dem sie ruhen. Der heftige
kalte Wind, der seit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am
Fuße des Piton Schutz zu suchen. Hände und Gesicht waren
uns erstarrt, während unsere Stiefeln auf dem Boden, auf
den wir den Fuß setzten, verbrannten. In wenigen Minuten
waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir so mühsam er-
klommen, und diese Geschwindigkeit war zum Teil unwillkür-
lich, da man häufig in der Asche hinunterrutscht. Ungern
schieden wir von dem einsamen Orte, wo sich die Natur in
ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die
Kanarischen Inseln noch einmal besuchen zu können, aber aus
dem Plane wurde nichts, wie aus so vielen, die wir damals
entwarfen.

Wir gingen langsam durch das Malpays; auf losen Lava-
blöcken tritt man nicht sicher auf. Der Station bei den Felsen
zu wird der Weg abwärts äußerst beschwerlich; der dichte kurze
Rasen ist so glatt, daß man sich beständig nach hinten über-
beugen muß, um nicht zu stürzen. Auf der sandigen Ebene
der Retama zeigte der Thermometer 22,5°, und dies schien
uns nach dem Frost, der uns auf dem Gipfel geschüttelt, eine
erstickende Hitze. Wir hatten gar kein Wasser; die Führer
hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvasier, den wir
der freundlichen Vorsorge Cologans verdankten, heimlich ge-
trunken, sondern sogar die Wassergefäße zerbrochen. Zum Glück
war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben.

In der schönen Region der Farne und der baumartigen
Heiden genossen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke
Wolkenschicht hüllte uns ein; sie hielt sich in 1170 m Höhe
über der Niederung. Während wir durch diese Schicht kamen,
hatten wir Gelegenheit, eine Erscheinung zu beobachten, die
uns später am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen
ist. Kleine Luftströme trieben Wolkenstreifen mit verschiedener
Geschwindigkeit nach entgegengesetzten Richtungen. Dies nahm
sich aus, als ob in einer großen stehenden Wassermasse kleine
Wasserströme sich rasch nach allen Seiten bewegten. Diese
teilweise Bewegung der Wolken rührt wahrscheinlich von sehr
verschiedenen Ursachen her, und man kann sich denken, daß
der Anstoß dazu sehr weit herkommen mag. Man kann den
Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens suchen, die mehr

A. v. Humboldt, Reise. I. 7

Monate mit Schnee bedeckt. Wahrſcheinlich bilden ſich unter
der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den
Gletſchern in der Schweiz, die beſtändig eine niedrigere Tem-
peratur haben als der Boden, auf dem ſie ruhen. Der heftige
kalte Wind, der ſeit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am
Fuße des Piton Schutz zu ſuchen. Hände und Geſicht waren
uns erſtarrt, während unſere Stiefeln auf dem Boden, auf
den wir den Fuß ſetzten, verbrannten. In wenigen Minuten
waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir ſo mühſam er-
klommen, und dieſe Geſchwiṅdigkeit war zum Teil unwillkür-
lich, da man häufig in der Aſche hinunterrutſcht. Ungern
ſchieden wir von dem einſamen Orte, wo ſich die Natur in
ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die
Kanariſchen Inſeln noch einmal beſuchen zu können, aber aus
dem Plane wurde nichts, wie aus ſo vielen, die wir damals
entwarfen.

Wir gingen langſam durch das Malpays; auf loſen Lava-
blöcken tritt man nicht ſicher auf. Der Station bei den Felſen
zu wird der Weg abwärts äußerſt beſchwerlich; der dichte kurze
Raſen iſt ſo glatt, daß man ſich beſtändig nach hinten über-
beugen muß, um nicht zu ſtürzen. Auf der ſandigen Ebene
der Retama zeigte der Thermometer 22,5°, und dies ſchien
uns nach dem Froſt, der uns auf dem Gipfel geſchüttelt, eine
erſtickende Hitze. Wir hatten gar kein Waſſer; die Führer
hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvaſier, den wir
der freundlichen Vorſorge Cologans verdankten, heimlich ge-
trunken, ſondern ſogar die Waſſergefäße zerbrochen. Zum Glück
war die Flaſche mit der Kraterluft unverſehrt geblieben.

In der ſchönen Region der Farne und der baumartigen
Heiden genoſſen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke
Wolkenſchicht hüllte uns ein; ſie hielt ſich in 1170 m Höhe
über der Niederung. Während wir durch dieſe Schicht kamen,
hatten wir Gelegenheit, eine Erſcheinung zu beobachten, die
uns ſpäter am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen
iſt. Kleine Luftſtröme trieben Wolkenſtreifen mit verſchiedener
Geſchwindigkeit nach entgegengeſetzten Richtungen. Dies nahm
ſich aus, als ob in einer großen ſtehenden Waſſermaſſe kleine
Waſſerſtröme ſich raſch nach allen Seiten bewegten. Dieſe
teilweiſe Bewegung der Wolken rührt wahrſcheinlich von ſehr
verſchiedenen Urſachen her, und man kann ſich denken, daß
der Anſtoß dazu ſehr weit herkommen mag. Man kann den
Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens ſuchen, die mehr

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 7
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[97/0113] Monate mit Schnee bedeckt. Wahrſcheinlich bilden ſich unter der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den Gletſchern in der Schweiz, die beſtändig eine niedrigere Tem- peratur haben als der Boden, auf dem ſie ruhen. Der heftige kalte Wind, der ſeit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fuße des Piton Schutz zu ſuchen. Hände und Geſicht waren uns erſtarrt, während unſere Stiefeln auf dem Boden, auf den wir den Fuß ſetzten, verbrannten. In wenigen Minuten waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir ſo mühſam er- klommen, und dieſe Geſchwiṅdigkeit war zum Teil unwillkür- lich, da man häufig in der Aſche hinunterrutſcht. Ungern ſchieden wir von dem einſamen Orte, wo ſich die Natur in ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die Kanariſchen Inſeln noch einmal beſuchen zu können, aber aus dem Plane wurde nichts, wie aus ſo vielen, die wir damals entwarfen. Wir gingen langſam durch das Malpays; auf loſen Lava- blöcken tritt man nicht ſicher auf. Der Station bei den Felſen zu wird der Weg abwärts äußerſt beſchwerlich; der dichte kurze Raſen iſt ſo glatt, daß man ſich beſtändig nach hinten über- beugen muß, um nicht zu ſtürzen. Auf der ſandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22,5°, und dies ſchien uns nach dem Froſt, der uns auf dem Gipfel geſchüttelt, eine erſtickende Hitze. Wir hatten gar kein Waſſer; die Führer hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvaſier, den wir der freundlichen Vorſorge Cologans verdankten, heimlich ge- trunken, ſondern ſogar die Waſſergefäße zerbrochen. Zum Glück war die Flaſche mit der Kraterluft unverſehrt geblieben. In der ſchönen Region der Farne und der baumartigen Heiden genoſſen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke Wolkenſchicht hüllte uns ein; ſie hielt ſich in 1170 m Höhe über der Niederung. Während wir durch dieſe Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erſcheinung zu beobachten, die uns ſpäter am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen iſt. Kleine Luftſtröme trieben Wolkenſtreifen mit verſchiedener Geſchwindigkeit nach entgegengeſetzten Richtungen. Dies nahm ſich aus, als ob in einer großen ſtehenden Waſſermaſſe kleine Waſſerſtröme ſich raſch nach allen Seiten bewegten. Dieſe teilweiſe Bewegung der Wolken rührt wahrſcheinlich von ſehr verſchiedenen Urſachen her, und man kann ſich denken, daß der Anſtoß dazu ſehr weit herkommen mag. Man kann den Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens ſuchen, die mehr A. v. Humboldt, Reiſe. I. 7

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/113>, abgerufen am 30.04.2024.