den Orinoko, auf das dringende Gesuch der Franziskaner, ein paar Haufen indianischer Hütten den vornehmen Titel Ciudad erteilt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden sollte ihrem Wesen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich- heit der Bürger sein; aber in den spanischen Kolonieen ist sie in eine Gemeindearistokratie ausgeartet. Die Leute, welche die unumschränkte Gewalt in Händen haben, könnten so leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken dienstbar machen; statt dessen fürchten sie den sogenannten Unabhängigkeitsgeist der kleinen Gemeinden. Lieber soll der Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß sie Mittel- punkte der Regsamkeit aufkommen ließen, die sich ihrem Ein- fluß entziehen, als daß sie der lokalen Lebensthätigkeit, welche die ganze Masse beseelt, Vorschub leisteten, nur weil diese Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der obersten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Karls V. und Philipps II. wurde die Munizipalverfassung vom Hofe klugerweise begünstigt. Mächtige Männer, die bei der Eroberung eine Rolle gespielt, gründeten Städte und bildeten die ersten Cabildos nach dem Muster der spanischen; zwischen den Angehörigen des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika bestand damals Rechts- gleichheit. Die Politik war eben nicht freisinnig, aber doch nicht so argwöhnisch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Festland wurde als eine ferne Besitzung Spaniens angesehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent- wickelte sich erst mit dem modernen System der Handelspolitik, und diese Politik sah zwar ganz wohl die wahren Quellen des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdestoweniger bald kleinlich, mißtrauisch, ausschließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwischen dem Mutterlande und den Kolonieen hin; sie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der die erste Gesetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All- mählich wurde durch die Centralisierung der Gewalt der Ein- fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieselben Cabildos, denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zustand, nach dem Tode eines Statthalters das Land provisorisch zu re- gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmnisse der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichsten Dörfer trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur sehr schwer den Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt sich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial- politik keineswegs alle sehr philosophisch sind. Man sieht
den Orinoko, auf das dringende Geſuch der Franziskaner, ein paar Haufen indianiſcher Hütten den vornehmen Titel Ciudad erteilt. Die Selbſtverwaltung der Gemeinden ſollte ihrem Weſen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich- heit der Bürger ſein; aber in den ſpaniſchen Kolonieen iſt ſie in eine Gemeindeariſtokratie ausgeartet. Die Leute, welche die unumſchränkte Gewalt in Händen haben, könnten ſo leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken dienſtbar machen; ſtatt deſſen fürchten ſie den ſogenannten Unabhängigkeitsgeiſt der kleinen Gemeinden. Lieber ſoll der Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß ſie Mittel- punkte der Regſamkeit aufkommen ließen, die ſich ihrem Ein- fluß entziehen, als daß ſie der lokalen Lebensthätigkeit, welche die ganze Maſſe beſeelt, Vorſchub leiſteten, nur weil dieſe Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der oberſten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Karls V. und Philipps II. wurde die Munizipalverfaſſung vom Hofe klugerweiſe begünſtigt. Mächtige Männer, die bei der Eroberung eine Rolle geſpielt, gründeten Städte und bildeten die erſten Cabildos nach dem Muſter der ſpaniſchen; zwiſchen den Angehörigen des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika beſtand damals Rechts- gleichheit. Die Politik war eben nicht freiſinnig, aber doch nicht ſo argwöhniſch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Feſtland wurde als eine ferne Beſitzung Spaniens angeſehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent- wickelte ſich erſt mit dem modernen Syſtem der Handelspolitik, und dieſe Politik ſah zwar ganz wohl die wahren Quellen des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdeſtoweniger bald kleinlich, mißtrauiſch, ausſchließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen hin; ſie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der die erſte Geſetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All- mählich wurde durch die Centraliſierung der Gewalt der Ein- fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieſelben Cabildos, denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zuſtand, nach dem Tode eines Statthalters das Land proviſoriſch zu re- gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmniſſe der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichſten Dörfer trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur ſehr ſchwer den Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt ſich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial- politik keineswegs alle ſehr philoſophiſch ſind. Man ſieht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0195"n="187"/>
den Orinoko, auf das dringende Geſuch der Franziskaner, ein<lb/>
paar Haufen indianiſcher Hütten den vornehmen Titel <hirendition="#aq">Ciudad</hi><lb/>
erteilt. Die Selbſtverwaltung der Gemeinden ſollte ihrem<lb/>
Weſen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich-<lb/>
heit der Bürger ſein; aber in den ſpaniſchen Kolonieen iſt ſie<lb/>
in eine Gemeindeariſtokratie ausgeartet. Die Leute, welche<lb/>
die unumſchränkte Gewalt in Händen haben, könnten ſo leicht<lb/>
den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken<lb/>
dienſtbar machen; ſtatt deſſen fürchten ſie den ſogenannten<lb/>
Unabhängigkeitsgeiſt der kleinen Gemeinden. Lieber ſoll der<lb/>
Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß ſie Mittel-<lb/>
punkte der Regſamkeit aufkommen ließen, die ſich ihrem Ein-<lb/>
fluß entziehen, als daß ſie der lokalen Lebensthätigkeit, welche<lb/>
die ganze Maſſe beſeelt, Vorſchub leiſteten, nur weil dieſe<lb/>
Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der oberſten Gewalt<lb/>
ausgeht. Zur Zeit Karls <hirendition="#aq">V.</hi> und Philipps <hirendition="#aq">II.</hi> wurde die<lb/>
Munizipalverfaſſung vom Hofe klugerweiſe begünſtigt. Mächtige<lb/>
Männer, die bei der Eroberung eine Rolle geſpielt, gründeten<lb/>
Städte und bildeten die erſten <hirendition="#g">Cabildos</hi> nach dem Muſter<lb/>
der ſpaniſchen; zwiſchen den Angehörigen des Mutterlandes<lb/>
und ihren Nachkommen in Amerika beſtand damals Rechts-<lb/>
gleichheit. Die Politik war eben nicht freiſinnig, aber doch<lb/>
nicht ſo argwöhniſch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und<lb/>
verheerte Feſtland wurde als eine ferne Beſitzung Spaniens<lb/>
angeſehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent-<lb/>
wickelte ſich erſt mit dem modernen Syſtem der Handelspolitik,<lb/>
und dieſe Politik ſah zwar ganz wohl die wahren Quellen<lb/>
des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdeſtoweniger bald<lb/>
kleinlich, mißtrauiſch, ausſchließend. Sie arbeitete auf die<lb/>
Zwietracht zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen hin;<lb/>ſie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der<lb/>
die erſte Geſetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All-<lb/>
mählich wurde durch die Centraliſierung der Gewalt der Ein-<lb/>
fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieſelben Cabildos,<lb/>
denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zuſtand, nach<lb/>
dem Tode eines Statthalters das Land proviſoriſch zu re-<lb/>
gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmniſſe<lb/>
der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichſten Dörfer<lb/>
trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur ſehr ſchwer den<lb/>
Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt<lb/>ſich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial-<lb/>
politik keineswegs alle ſehr philoſophiſch ſind. Man ſieht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[187/0195]
den Orinoko, auf das dringende Geſuch der Franziskaner, ein
paar Haufen indianiſcher Hütten den vornehmen Titel Ciudad
erteilt. Die Selbſtverwaltung der Gemeinden ſollte ihrem
Weſen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich-
heit der Bürger ſein; aber in den ſpaniſchen Kolonieen iſt ſie
in eine Gemeindeariſtokratie ausgeartet. Die Leute, welche
die unumſchränkte Gewalt in Händen haben, könnten ſo leicht
den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken
dienſtbar machen; ſtatt deſſen fürchten ſie den ſogenannten
Unabhängigkeitsgeiſt der kleinen Gemeinden. Lieber ſoll der
Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß ſie Mittel-
punkte der Regſamkeit aufkommen ließen, die ſich ihrem Ein-
fluß entziehen, als daß ſie der lokalen Lebensthätigkeit, welche
die ganze Maſſe beſeelt, Vorſchub leiſteten, nur weil dieſe
Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der oberſten Gewalt
ausgeht. Zur Zeit Karls V. und Philipps II. wurde die
Munizipalverfaſſung vom Hofe klugerweiſe begünſtigt. Mächtige
Männer, die bei der Eroberung eine Rolle geſpielt, gründeten
Städte und bildeten die erſten Cabildos nach dem Muſter
der ſpaniſchen; zwiſchen den Angehörigen des Mutterlandes
und ihren Nachkommen in Amerika beſtand damals Rechts-
gleichheit. Die Politik war eben nicht freiſinnig, aber doch
nicht ſo argwöhniſch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und
verheerte Feſtland wurde als eine ferne Beſitzung Spaniens
angeſehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent-
wickelte ſich erſt mit dem modernen Syſtem der Handelspolitik,
und dieſe Politik ſah zwar ganz wohl die wahren Quellen
des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdeſtoweniger bald
kleinlich, mißtrauiſch, ausſchließend. Sie arbeitete auf die
Zwietracht zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen hin;
ſie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der
die erſte Geſetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All-
mählich wurde durch die Centraliſierung der Gewalt der Ein-
fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieſelben Cabildos,
denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zuſtand, nach
dem Tode eines Statthalters das Land proviſoriſch zu re-
gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmniſſe
der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichſten Dörfer
trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur ſehr ſchwer den
Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt
ſich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial-
politik keineswegs alle ſehr philoſophiſch ſind. Man ſieht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/195>, abgerufen am 04.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.