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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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nehmungen zur See über die anderen seefahrenden Völker
emporgeschwungen hatten. Die Verbreitung ihrer Sprachen
von Kalifornien bis an den Rio de la Plata, auf dem Rücken
der Kordilleren wie in den Wäldern am Amazonenstrom ist
ein Denkmal nationalen Ruhms, das alle politischen Revo-
lutionen überdauern wird.

Gegenwärtig überwiegt die Bevölkerung des spanischen
und portugiesischen Amerika die von englischer Rasse ums
Doppelte. Die französischen, holländischen und dänischen Be-
sitzungen auf dem neuen Kontinent sind von geringem Um-
fang; zählt man aber die Völker her, welche auf das Geschick
der anderen Halbkugel Einfluß äußern können, so sind noch
zwei nicht zu übergehen, einerseits die Ansiedler slawischer Ab-
kunft, die von der Halbinsel Alaska bis nach Kalifornien
Niederlassungen suchen, andrerseits die freien Afrikaner auf
Hayti, welche wahr gemacht haben, was der Mailänder Rei-
sende Benzoni schon im Jahre 1545 vorausgesagt. Daß die
Afrikaner auf einer Insel, zweieinhalbmal größer als Sizilien,
im Schoße des Mittelmeeres der Antillen hausen, macht sie
politisch um so wichtiger. Alle Freunde der Menschheit wün-
schen aufrichtig, daß eine Civilisation, welche wider alles Er-
warten nach so viel Greueln und Blut Wurzel geschlagen,
sich fort und fort entwickeln möge. Das russische Amerika
gleicht bis jetzt nicht sowohl einer Ackerbaukolonie als einem
der Kontore, wie sie die Europäer zum Verderben der Ein-
geborenen auf den Küsten von Afrika errichtet. Es besteht
nur aus Militärposten, aus Sammelplätzen für Fischer und
sibirische Jäger. Allerdings ist es eine merkwürdige Erschei-
nung, daß sich der Ritus der griechischen Kirche auf einem
Striche Amerikas festgesetzt hat, und daß zwei Nationen,
welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen,
Russen und Spanier, Nachbarn werden auf einem Festlande,
in das sie auf entgegengesetzten Wegen gekommen; aber beim
halb wilden Zustand der Küsten von Ochotsk und Kamtschatka,
bei der Geringfügigkeit der Mittel, welche die asiatischen Häfen
liefern können, und bei der Art und Weise, wie bis jetzt die
slawischen Kolonieen in der Neuen Welt verwaltet worden,
müssen diese noch lange in der Kindheit verharren. Da man
nun bei nationalökonomischen Untersuchungen gewöhnt ist,
nur Massen ins Auge zu fassen, so stellt es sich heraus, daß
das amerikanische Festland eigentlich nur unter drei große
Nationen von englischer, spanischer und portugiesischer Abkunft

nehmungen zur See über die anderen ſeefahrenden Völker
emporgeſchwungen hatten. Die Verbreitung ihrer Sprachen
von Kalifornien bis an den Rio de la Plata, auf dem Rücken
der Kordilleren wie in den Wäldern am Amazonenſtrom iſt
ein Denkmal nationalen Ruhms, das alle politiſchen Revo-
lutionen überdauern wird.

Gegenwärtig überwiegt die Bevölkerung des ſpaniſchen
und portugieſiſchen Amerika die von engliſcher Raſſe ums
Doppelte. Die franzöſiſchen, holländiſchen und däniſchen Be-
ſitzungen auf dem neuen Kontinent ſind von geringem Um-
fang; zählt man aber die Völker her, welche auf das Geſchick
der anderen Halbkugel Einfluß äußern können, ſo ſind noch
zwei nicht zu übergehen, einerſeits die Anſiedler ſlawiſcher Ab-
kunft, die von der Halbinſel Alaska bis nach Kalifornien
Niederlaſſungen ſuchen, andrerſeits die freien Afrikaner auf
Hayti, welche wahr gemacht haben, was der Mailänder Rei-
ſende Benzoni ſchon im Jahre 1545 vorausgeſagt. Daß die
Afrikaner auf einer Inſel, zweieinhalbmal größer als Sizilien,
im Schoße des Mittelmeeres der Antillen hauſen, macht ſie
politiſch um ſo wichtiger. Alle Freunde der Menſchheit wün-
ſchen aufrichtig, daß eine Civiliſation, welche wider alles Er-
warten nach ſo viel Greueln und Blut Wurzel geſchlagen,
ſich fort und fort entwickeln möge. Das ruſſiſche Amerika
gleicht bis jetzt nicht ſowohl einer Ackerbaukolonie als einem
der Kontore, wie ſie die Europäer zum Verderben der Ein-
geborenen auf den Küſten von Afrika errichtet. Es beſteht
nur aus Militärpoſten, aus Sammelplätzen für Fiſcher und
ſibiriſche Jäger. Allerdings iſt es eine merkwürdige Erſchei-
nung, daß ſich der Ritus der griechiſchen Kirche auf einem
Striche Amerikas feſtgeſetzt hat, und daß zwei Nationen,
welche das Oſt- und das Weſtende von Europa bewohnen,
Ruſſen und Spanier, Nachbarn werden auf einem Feſtlande,
in das ſie auf entgegengeſetzten Wegen gekommen; aber beim
halb wilden Zuſtand der Küſten von Ochotsk und Kamtſchatka,
bei der Geringfügigkeit der Mittel, welche die aſiatiſchen Häfen
liefern können, und bei der Art und Weiſe, wie bis jetzt die
ſlawiſchen Kolonieen in der Neuen Welt verwaltet worden,
müſſen dieſe noch lange in der Kindheit verharren. Da man
nun bei nationalökonomiſchen Unterſuchungen gewöhnt iſt,
nur Maſſen ins Auge zu faſſen, ſo ſtellt es ſich heraus, daß
das amerikaniſche Feſtland eigentlich nur unter drei große
Nationen von engliſcher, ſpaniſcher und portugieſiſcher Abkunft

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[287/0295] nehmungen zur See über die anderen ſeefahrenden Völker emporgeſchwungen hatten. Die Verbreitung ihrer Sprachen von Kalifornien bis an den Rio de la Plata, auf dem Rücken der Kordilleren wie in den Wäldern am Amazonenſtrom iſt ein Denkmal nationalen Ruhms, das alle politiſchen Revo- lutionen überdauern wird. Gegenwärtig überwiegt die Bevölkerung des ſpaniſchen und portugieſiſchen Amerika die von engliſcher Raſſe ums Doppelte. Die franzöſiſchen, holländiſchen und däniſchen Be- ſitzungen auf dem neuen Kontinent ſind von geringem Um- fang; zählt man aber die Völker her, welche auf das Geſchick der anderen Halbkugel Einfluß äußern können, ſo ſind noch zwei nicht zu übergehen, einerſeits die Anſiedler ſlawiſcher Ab- kunft, die von der Halbinſel Alaska bis nach Kalifornien Niederlaſſungen ſuchen, andrerſeits die freien Afrikaner auf Hayti, welche wahr gemacht haben, was der Mailänder Rei- ſende Benzoni ſchon im Jahre 1545 vorausgeſagt. Daß die Afrikaner auf einer Inſel, zweieinhalbmal größer als Sizilien, im Schoße des Mittelmeeres der Antillen hauſen, macht ſie politiſch um ſo wichtiger. Alle Freunde der Menſchheit wün- ſchen aufrichtig, daß eine Civiliſation, welche wider alles Er- warten nach ſo viel Greueln und Blut Wurzel geſchlagen, ſich fort und fort entwickeln möge. Das ruſſiſche Amerika gleicht bis jetzt nicht ſowohl einer Ackerbaukolonie als einem der Kontore, wie ſie die Europäer zum Verderben der Ein- geborenen auf den Küſten von Afrika errichtet. Es beſteht nur aus Militärpoſten, aus Sammelplätzen für Fiſcher und ſibiriſche Jäger. Allerdings iſt es eine merkwürdige Erſchei- nung, daß ſich der Ritus der griechiſchen Kirche auf einem Striche Amerikas feſtgeſetzt hat, und daß zwei Nationen, welche das Oſt- und das Weſtende von Europa bewohnen, Ruſſen und Spanier, Nachbarn werden auf einem Feſtlande, in das ſie auf entgegengeſetzten Wegen gekommen; aber beim halb wilden Zuſtand der Küſten von Ochotsk und Kamtſchatka, bei der Geringfügigkeit der Mittel, welche die aſiatiſchen Häfen liefern können, und bei der Art und Weiſe, wie bis jetzt die ſlawiſchen Kolonieen in der Neuen Welt verwaltet worden, müſſen dieſe noch lange in der Kindheit verharren. Da man nun bei nationalökonomiſchen Unterſuchungen gewöhnt iſt, nur Maſſen ins Auge zu faſſen, ſo ſtellt es ſich heraus, daß das amerikaniſche Feſtland eigentlich nur unter drei große Nationen von engliſcher, ſpaniſcher und portugieſiſcher Abkunft

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/295>, abgerufen am 26.04.2024.