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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Alle diese Erscheinungen verdienen desto mehr Aufmerk-
samkeit, als sie den großen Zweig der amerikanischen Völker
betreffen, den man gemeiniglich dem am Pole lebenden Zweig,
den Eskimo-Tschugasen, entgegenstellt, deren Kinder weiß sind
und die mongolisch gelbe Farbe erst durch den Einfluß der
Luft und der Feuchtigkeit annehmen. In Guyana sind die
Horden, welche mitten in den dichtesten Wäldern leben, meist
nicht so dunkel als solche, welche an den Ufern des Ori-
noko Fischfang treiben. Aber dieser unbedeutende Unter-
schied, der ja auch in Europa zwischen den städtischen Hand-
werkern und den Landbauern oder Küstenfischern vorkommt,
erklärt keineswegs das Phänomen der Indios blancos, die
Existenz von Indianerstämmen mit einer Haut wie die der
Mestizen. Dieselben sind von anderen Waldindianern (Indios
del monte
) umgeben, die, obgleich ganz den nämlichen
physischen Einflüssen ausgesetzt, braunrot sind. Die Ur-
sachen dieser Erscheinungen liegen in der Zeit sehr weit
rückwärts, und wir sagen wieder mit Tacitus: "Est durans
originis vis."

Diese Stämme mit weißlicher Haut, welche wir in der
Mission Esmeralda zu sehen Gelegenheit gehabt, bewohnen
einen Strich des Berglandes zwischen den Quellen von sechs
Nebenflüssen des Orinoko, des Padamo, Jao, Ventuari,
Erevato, Aruy und Paragua. Bei den spanischen und portu-

Spielarten der amerikanischen Rasse sind die Otomaken und die
Guamos, und sie haben vielleicht zu den verworrenen Vorstellungen
von amerikanischen Negern, die in der ersten Zeit der Er-
oberung in Europa verbreitet waren, Anlaß gegeben. Was waren
die Negros de Quareca, die Gomara auf denselben Isthmus von
Panama versetzt, woher uns zuerst die albernen Geschichten von
einem Volke von Albinos in Amerika zugekommen? Liest man die
Geschichtschreiber aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit Auf-
merksamkeit, so sieht man, daß durch die Entdeckung von Amerika,
wodurch auch eine neue Menschenrasse entdeckt worden war, die
Reisenden großes Interesse für die Abarten unseres Geschlechtes
gewonnen hatten. Hätte nun unter den kupferfarbigen Menschen
eine schwarze Rasse gelebt, wie auf den Inseln der Südsee, so
hätten die Konquistadoren sich sicher bestimmt darüber ausgesprochen.
Zudem kommen in den religiösen Ueberlieferungen der Amerikaner
in ihren heroischen Zeiten wohl weiße bärtige Männer als Priester
und Gesetzgeber vor, aber in keiner dieser Sagen ist von einem
schwarzen Volksstamme die Rede.

Alle dieſe Erſcheinungen verdienen deſto mehr Aufmerk-
ſamkeit, als ſie den großen Zweig der amerikaniſchen Völker
betreffen, den man gemeiniglich dem am Pole lebenden Zweig,
den Eskimo-Tſchugaſen, entgegenſtellt, deren Kinder weiß ſind
und die mongoliſch gelbe Farbe erſt durch den Einfluß der
Luft und der Feuchtigkeit annehmen. In Guyana ſind die
Horden, welche mitten in den dichteſten Wäldern leben, meiſt
nicht ſo dunkel als ſolche, welche an den Ufern des Ori-
noko Fiſchfang treiben. Aber dieſer unbedeutende Unter-
ſchied, der ja auch in Europa zwiſchen den ſtädtiſchen Hand-
werkern und den Landbauern oder Küſtenfiſchern vorkommt,
erklärt keineswegs das Phänomen der Indios blancos, die
Exiſtenz von Indianerſtämmen mit einer Haut wie die der
Meſtizen. Dieſelben ſind von anderen Waldindianern (Indios
del monte
) umgeben, die, obgleich ganz den nämlichen
phyſiſchen Einflüſſen ausgeſetzt, braunrot ſind. Die Ur-
ſachen dieſer Erſcheinungen liegen in der Zeit ſehr weit
rückwärts, und wir ſagen wieder mit Tacitus: „Est durans
originis vis.“

Dieſe Stämme mit weißlicher Haut, welche wir in der
Miſſion Esmeralda zu ſehen Gelegenheit gehabt, bewohnen
einen Strich des Berglandes zwiſchen den Quellen von ſechs
Nebenflüſſen des Orinoko, des Padamo, Jao, Ventuari,
Erevato, Aruy und Paragua. Bei den ſpaniſchen und portu-

Spielarten der amerikaniſchen Raſſe ſind die Otomaken und die
Guamos, und ſie haben vielleicht zu den verworrenen Vorſtellungen
von amerikaniſchen Negern, die in der erſten Zeit der Er-
oberung in Europa verbreitet waren, Anlaß gegeben. Was waren
die Negros de Quareca, die Gomara auf denſelben Iſthmus von
Panama verſetzt, woher uns zuerſt die albernen Geſchichten von
einem Volke von Albinos in Amerika zugekommen? Lieſt man die
Geſchichtſchreiber aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit Auf-
merkſamkeit, ſo ſieht man, daß durch die Entdeckung von Amerika,
wodurch auch eine neue Menſchenraſſe entdeckt worden war, die
Reiſenden großes Intereſſe für die Abarten unſeres Geſchlechtes
gewonnen hatten. Hätte nun unter den kupferfarbigen Menſchen
eine ſchwarze Raſſe gelebt, wie auf den Inſeln der Südſee, ſo
hätten die Konquiſtadoren ſich ſicher beſtimmt darüber ausgeſprochen.
Zudem kommen in den religiöſen Ueberlieferungen der Amerikaner
in ihren heroiſchen Zeiten wohl weiße bärtige Männer als Prieſter
und Geſetzgeber vor, aber in keiner dieſer Sagen iſt von einem
ſchwarzen Volksſtamme die Rede.
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[87/0095] Alle dieſe Erſcheinungen verdienen deſto mehr Aufmerk- ſamkeit, als ſie den großen Zweig der amerikaniſchen Völker betreffen, den man gemeiniglich dem am Pole lebenden Zweig, den Eskimo-Tſchugaſen, entgegenſtellt, deren Kinder weiß ſind und die mongoliſch gelbe Farbe erſt durch den Einfluß der Luft und der Feuchtigkeit annehmen. In Guyana ſind die Horden, welche mitten in den dichteſten Wäldern leben, meiſt nicht ſo dunkel als ſolche, welche an den Ufern des Ori- noko Fiſchfang treiben. Aber dieſer unbedeutende Unter- ſchied, der ja auch in Europa zwiſchen den ſtädtiſchen Hand- werkern und den Landbauern oder Küſtenfiſchern vorkommt, erklärt keineswegs das Phänomen der Indios blancos, die Exiſtenz von Indianerſtämmen mit einer Haut wie die der Meſtizen. Dieſelben ſind von anderen Waldindianern (Indios del monte) umgeben, die, obgleich ganz den nämlichen phyſiſchen Einflüſſen ausgeſetzt, braunrot ſind. Die Ur- ſachen dieſer Erſcheinungen liegen in der Zeit ſehr weit rückwärts, und wir ſagen wieder mit Tacitus: „Est durans originis vis.“ Dieſe Stämme mit weißlicher Haut, welche wir in der Miſſion Esmeralda zu ſehen Gelegenheit gehabt, bewohnen einen Strich des Berglandes zwiſchen den Quellen von ſechs Nebenflüſſen des Orinoko, des Padamo, Jao, Ventuari, Erevato, Aruy und Paragua. Bei den ſpaniſchen und portu- 1 1 Spielarten der amerikaniſchen Raſſe ſind die Otomaken und die Guamos, und ſie haben vielleicht zu den verworrenen Vorſtellungen von amerikaniſchen Negern, die in der erſten Zeit der Er- oberung in Europa verbreitet waren, Anlaß gegeben. Was waren die Negros de Quareca, die Gomara auf denſelben Iſthmus von Panama verſetzt, woher uns zuerſt die albernen Geſchichten von einem Volke von Albinos in Amerika zugekommen? Lieſt man die Geſchichtſchreiber aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit Auf- merkſamkeit, ſo ſieht man, daß durch die Entdeckung von Amerika, wodurch auch eine neue Menſchenraſſe entdeckt worden war, die Reiſenden großes Intereſſe für die Abarten unſeres Geſchlechtes gewonnen hatten. Hätte nun unter den kupferfarbigen Menſchen eine ſchwarze Raſſe gelebt, wie auf den Inſeln der Südſee, ſo hätten die Konquiſtadoren ſich ſicher beſtimmt darüber ausgeſprochen. Zudem kommen in den religiöſen Ueberlieferungen der Amerikaner in ihren heroiſchen Zeiten wohl weiße bärtige Männer als Prieſter und Geſetzgeber vor, aber in keiner dieſer Sagen iſt von einem ſchwarzen Volksſtamme die Rede.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/95>, abgerufen am 29.04.2024.