Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebilde ganz erhalten, vollständig bis in die kleinsten Gewebe, Hüllen und gegliederten Theile; bald hat das laufende Thier, auf feuchtem Thonletten fortschreitend, nur seine Fährte, in den Coprolithen die Reste unverdauter Nahrung hinterlassen. In der unteren Juraschicht (Lias von Lyme Regis) ist die Erhaltung des Dintenbeutels67 der Sepia so wunderbar vollkommen, daß dieselbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Thiere hat dienen können, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der sein Bild entworfen wird. In andern Schichten ist oft nur der schwache Abdruck einer Muschelschale übrig geblieben; und doch kann diese, von Reisenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn sie eine Leitmuschel68 ist, lehren, welche Gebirgsformation sich dort vorfindet, mit welchen anderen organischen Resten sie vergesellschaftet war. Sie erzählt die Geschichte des Landes.

Das zergliedernde Studium des alten Thier- und Pflanzenlebens hat eine zwiefache Richtung. Die eine ist eine rein morphologische, und vorzugsweise der Naturbeschreibung und Physiologie der Organismen zugewandt; sie füllt durch untergegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch belebten aus. Die zweite Richtung ist eine geognostische, welche die fossilen Reste in ihrem Verhältniß zu dem Aufeinanderliegen und relativen Alter der Sedimentformationen betrachtet. Lange ist die erstere die vorherrschende gewesen, und eine zu unvollständige und oberflächliche Vergleichung der Versteinerungen mit den jetzt existirenden Arten hatte auf Irrwege geleitet, deren Spuren noch in den wundersamen Benennungen gewisser Naturkörper zu entdecken sind. Man wollte in allen untergegangenen

Gebilde ganz erhalten, vollständig bis in die kleinsten Gewebe, Hüllen und gegliederten Theile; bald hat das laufende Thier, auf feuchtem Thonletten fortschreitend, nur seine Fährte, in den Coprolithen die Reste unverdauter Nahrung hinterlassen. In der unteren Juraschicht (Lias von Lyme Regis) ist die Erhaltung des Dintenbeutels67 der Sepia so wunderbar vollkommen, daß dieselbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Thiere hat dienen können, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der sein Bild entworfen wird. In andern Schichten ist oft nur der schwache Abdruck einer Muschelschale übrig geblieben; und doch kann diese, von Reisenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn sie eine Leitmuschel68 ist, lehren, welche Gebirgsformation sich dort vorfindet, mit welchen anderen organischen Resten sie vergesellschaftet war. Sie erzählt die Geschichte des Landes.

Das zergliedernde Studium des alten Thier- und Pflanzenlebens hat eine zwiefache Richtung. Die eine ist eine rein morphologische, und vorzugsweise der Naturbeschreibung und Physiologie der Organismen zugewandt; sie füllt durch untergegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch belebten aus. Die zweite Richtung ist eine geognostische, welche die fossilen Reste in ihrem Verhältniß zu dem Aufeinanderliegen und relativen Alter der Sedimentformationen betrachtet. Lange ist die erstere die vorherrschende gewesen, und eine zu unvollständige und oberflächliche Vergleichung der Versteinerungen mit den jetzt existirenden Arten hatte auf Irrwege geleitet, deren Spuren noch in den wundersamen Benennungen gewisser Naturkörper zu entdecken sind. Man wollte in allen untergegangenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0304" n="285"/>
Gebilde ganz erhalten, vollständig bis in die kleinsten Gewebe, Hüllen und gegliederten Theile; bald hat das laufende Thier, auf feuchtem Thonletten fortschreitend, nur seine Fährte, in den Coprolithen die Reste unverdauter Nahrung hinterlassen. In der unteren Juraschicht (Lias von Lyme Regis) ist die Erhaltung des Dintenbeutels<note xml:id="ftn297" next="ftn297-text" place="end" n="67"/> der Sepia so wunderbar vollkommen, daß dieselbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Thiere hat dienen können, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der sein Bild entworfen wird. In andern Schichten ist oft nur der schwache Abdruck einer Muschelschale übrig geblieben; und doch kann diese, von Reisenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn sie eine <hi rendition="#g">Leitmuschel</hi><note xml:id="ftn298" next="ftn298-text" place="end" n="68"/> ist, lehren, welche Gebirgsformation sich dort vorfindet, mit welchen anderen organischen Resten sie vergesellschaftet war. Sie erzählt die Geschichte des Landes.</p>
          <p>Das zergliedernde Studium des alten Thier- und Pflanzenlebens hat eine zwiefache Richtung. Die eine ist eine rein morphologische, und vorzugsweise der Naturbeschreibung und Physiologie der Organismen zugewandt; sie füllt durch untergegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch belebten aus. Die zweite Richtung ist eine geognostische, welche die fossilen Reste in ihrem Verhältniß zu dem Aufeinanderliegen und relativen Alter der Sedimentformationen betrachtet. Lange ist die erstere die vorherrschende gewesen, und eine zu unvollständige und oberflächliche Vergleichung der <hi rendition="#g">Versteinerungen</hi> mit den jetzt existirenden Arten hatte auf Irrwege geleitet, deren Spuren noch in den wundersamen Benennungen gewisser Naturkörper zu entdecken sind. Man wollte in allen untergegangenen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0304] Gebilde ganz erhalten, vollständig bis in die kleinsten Gewebe, Hüllen und gegliederten Theile; bald hat das laufende Thier, auf feuchtem Thonletten fortschreitend, nur seine Fährte, in den Coprolithen die Reste unverdauter Nahrung hinterlassen. In der unteren Juraschicht (Lias von Lyme Regis) ist die Erhaltung des Dintenbeutels ⁶⁷ der Sepia so wunderbar vollkommen, daß dieselbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Thiere hat dienen können, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der sein Bild entworfen wird. In andern Schichten ist oft nur der schwache Abdruck einer Muschelschale übrig geblieben; und doch kann diese, von Reisenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn sie eine Leitmuschel ⁶⁸ ist, lehren, welche Gebirgsformation sich dort vorfindet, mit welchen anderen organischen Resten sie vergesellschaftet war. Sie erzählt die Geschichte des Landes. Das zergliedernde Studium des alten Thier- und Pflanzenlebens hat eine zwiefache Richtung. Die eine ist eine rein morphologische, und vorzugsweise der Naturbeschreibung und Physiologie der Organismen zugewandt; sie füllt durch untergegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch belebten aus. Die zweite Richtung ist eine geognostische, welche die fossilen Reste in ihrem Verhältniß zu dem Aufeinanderliegen und relativen Alter der Sedimentformationen betrachtet. Lange ist die erstere die vorherrschende gewesen, und eine zu unvollständige und oberflächliche Vergleichung der Versteinerungen mit den jetzt existirenden Arten hatte auf Irrwege geleitet, deren Spuren noch in den wundersamen Benennungen gewisser Naturkörper zu entdecken sind. Man wollte in allen untergegangenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/304
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/304>, abgerufen am 12.05.2024.