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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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entbehren kann; es lag mir vielmehr ob, zu entwickeln, wie, ohne dem gründlichen Studium specieller Disciplinen zu schaden, den naturwissenschaftlichen Bestrebungen ein höherer Standpunkt angewiesen werden kann, von dem aus alle Gebilde und Kräfte sich als ein, durch innere Regung belebtes Naturganze offenbaren. Nicht ein todtes Aggregat ist die Natur: sie ist "dem begeisterten Forscher (wie Schelling in der trefflichen Rede über die bildenden Künste sich ausdrückt) die heilige, ewig schaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werkthätig hervorbringt". Der bisher so unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung geht durch erweiterte Betrachtung und das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über. Eine dieser Benennungen ist nach der andern gebildet. Es ist aber die Weltbeschreibung oder Lehre vom Kosmos, wie ich sie auffasse, nicht etwa ein encyclopädischer Inbegriff der allgemeinsten und wichtigsten Resultate, die man einzelnen naturhistorischen, physikalischen und astronomischen Schriften entlehnt. Solche Resultate werden in der Weltbeschreibung nur als Materialien und in so fern theilweise benutzt, als sie das Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, das sich gegenseitige Hervorrufen und Beschränken der Naturgebilde erläutern. Die räumliche und klimatische Verbreitung organischer Typen (Geographie der Pflanzen und Thiere) ist so verschieden von der beschreibenden Botanik und Zoologie, als die geognostische Kenntniß des Erdkörpers verschieden ist von der Oryktognosie. Eine physische Weltbeschreibung darf daher nicht mit der sogenannten Encyclopädie

entbehren kann; es lag mir vielmehr ob, zu entwickeln, wie, ohne dem gründlichen Studium specieller Disciplinen zu schaden, den naturwissenschaftlichen Bestrebungen ein höherer Standpunkt angewiesen werden kann, von dem aus alle Gebilde und Kräfte sich als ein, durch innere Regung belebtes Naturganze offenbaren. Nicht ein todtes Aggregat ist die Natur: sie ist „dem begeisterten Forscher (wie Schelling in der trefflichen Rede über die bildenden Künste sich ausdrückt) die heilige, ewig schaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werkthätig hervorbringt“. Der bisher so unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung geht durch erweiterte Betrachtung und das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über. Eine dieser Benennungen ist nach der andern gebildet. Es ist aber die Weltbeschreibung oder Lehre vom Kosmos, wie ich sie auffasse, nicht etwa ein encyclopädischer Inbegriff der allgemeinsten und wichtigsten Resultate, die man einzelnen naturhistorischen, physikalischen und astronomischen Schriften entlehnt. Solche Resultate werden in der Weltbeschreibung nur als Materialien und in so fern theilweise benutzt, als sie das Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, das sich gegenseitige Hervorrufen und Beschränken der Naturgebilde erläutern. Die räumliche und klimatische Verbreitung organischer Typen (Geographie der Pflanzen und Thiere) ist so verschieden von der beschreibenden Botanik und Zoologie, als die geognostische Kenntniß des Erdkörpers verschieden ist von der Oryktognosie. Eine physische Weltbeschreibung darf daher nicht mit der sogenannten Encyclopädie

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[39/0058] entbehren kann; es lag mir vielmehr ob, zu entwickeln, wie, ohne dem gründlichen Studium specieller Disciplinen zu schaden, den naturwissenschaftlichen Bestrebungen ein höherer Standpunkt angewiesen werden kann, von dem aus alle Gebilde und Kräfte sich als ein, durch innere Regung belebtes Naturganze offenbaren. Nicht ein todtes Aggregat ist die Natur: sie ist „dem begeisterten Forscher (wie Schelling in der trefflichen Rede über die bildenden Künste sich ausdrückt) die heilige, ewig schaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werkthätig hervorbringt“. Der bisher so unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung geht durch erweiterte Betrachtung und das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über. Eine dieser Benennungen ist nach der andern gebildet. Es ist aber die Weltbeschreibung oder Lehre vom Kosmos, wie ich sie auffasse, nicht etwa ein encyclopädischer Inbegriff der allgemeinsten und wichtigsten Resultate, die man einzelnen naturhistorischen, physikalischen und astronomischen Schriften entlehnt. Solche Resultate werden in der Weltbeschreibung nur als Materialien und in so fern theilweise benutzt, als sie das Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, das sich gegenseitige Hervorrufen und Beschränken der Naturgebilde erläutern. Die räumliche und klimatische Verbreitung organischer Typen (Geographie der Pflanzen und Thiere) ist so verschieden von der beschreibenden Botanik und Zoologie, als die geognostische Kenntniß des Erdkörpers verschieden ist von der Oryktognosie. Eine physische Weltbeschreibung darf daher nicht mit der sogenannten Encyclopädie

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/58>, abgerufen am 28.04.2024.