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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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hat aber darum nichts von seiner Individualität verloren. Plato preist in allgemeinen Zügen den "dunkeln Schatten der hochbelaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüthen, die Lüfte, welche süß und sommerlich in den Chor der Cicaden wehen". In Cicero's kleinem Naturbilde ist, wie noch neuerlichst ein sinniger Forscher26 bemerkt hat, alles so dargestellt, wie man es heute noch in der wirklichen Landschaft wiederfindet. Den Liris sehen wir von hohen Pappeln beschattet; man erkennt, wenn man von dem steilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Osten hinabsteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus, wie die Insel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Theilung des Flüßchens entsteht und in die Cicero sich zurückzog, um, wie er sagt, "seinen Meditationen nachzuhangen, zu lesen oder zu schreiben". Arpinum am Volscischen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtssitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf seine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menschen unbewußt, gesellt sich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abspiegelt, zu dem, was tief und frei in den ursprünglichen Anlagen, in den inneren geistigen Kräften gewurzelt ist.

Mitten unter den verhängnißvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Trost in seinen Villen, abwechselnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. "Nichts ist erfreulicher", schreibt er27 an Atticus, "als diese Einsamkeit, nichts anmuthiger als dieser Landsitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. -- In der Einöde der Insel Astura, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, am Ufer des tyrrhenischen

hat aber darum nichts von seiner Individualität verloren. Plato preist in allgemeinen Zügen den „dunkeln Schatten der hochbelaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüthen, die Lüfte, welche süß und sommerlich in den Chor der Cicaden wehen". In Cicero's kleinem Naturbilde ist, wie noch neuerlichst ein sinniger Forscher26 bemerkt hat, alles so dargestellt, wie man es heute noch in der wirklichen Landschaft wiederfindet. Den Liris sehen wir von hohen Pappeln beschattet; man erkennt, wenn man von dem steilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Osten hinabsteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus, wie die Insel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Theilung des Flüßchens entsteht und in die Cicero sich zurückzog, um, wie er sagt, „seinen Meditationen nachzuhangen, zu lesen oder zu schreiben". Arpinum am Volscischen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtssitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf seine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menschen unbewußt, gesellt sich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abspiegelt, zu dem, was tief und frei in den ursprünglichen Anlagen, in den inneren geistigen Kräften gewurzelt ist.

Mitten unter den verhängnißvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Trost in seinen Villen, abwechselnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. „Nichts ist erfreulicher", schreibt er27 an Atticus, „als diese Einsamkeit, nichts anmuthiger als dieser Landsitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. — In der Einöde der Insel Astura, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, am Ufer des tyrrhenischen

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[18/0023] hat aber darum nichts von seiner Individualität verloren. Plato preist in allgemeinen Zügen den „dunkeln Schatten der hochbelaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüthen, die Lüfte, welche süß und sommerlich in den Chor der Cicaden wehen". In Cicero's kleinem Naturbilde ist, wie noch neuerlichst ein sinniger Forscher ²⁶ bemerkt hat, alles so dargestellt, wie man es heute noch in der wirklichen Landschaft wiederfindet. Den Liris sehen wir von hohen Pappeln beschattet; man erkennt, wenn man von dem steilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Osten hinabsteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus, wie die Insel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Theilung des Flüßchens entsteht und in die Cicero sich zurückzog, um, wie er sagt, „seinen Meditationen nachzuhangen, zu lesen oder zu schreiben". Arpinum am Volscischen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtssitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf seine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menschen unbewußt, gesellt sich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abspiegelt, zu dem, was tief und frei in den ursprünglichen Anlagen, in den inneren geistigen Kräften gewurzelt ist. Mitten unter den verhängnißvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Trost in seinen Villen, abwechselnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. „Nichts ist erfreulicher", schreibt er ²⁷ an Atticus, „als diese Einsamkeit, nichts anmuthiger als dieser Landsitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. — In der Einöde der Insel Astura, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, am Ufer des tyrrhenischen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/23>, abgerufen am 26.04.2024.