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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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glaubte, so verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntniß der ehemaligen großen Ausdehnung des scythischen Golfes (Karabogas) und der Existenz des Aral-Sees, dessen erste bestimmte Andeutung wir bei einem byzantinischen Schriftsteller, dem Menander60, welcher den Agathias fortsetzte, finden.

Es ist zu beklagen, daß Ptolemäus, der das caspische Meer wiederum geschlossen, nachdem es durch die Hypothese von vier Meerbusen und selbst nach Reflexen in der Mondscheibe61 lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Prasum mit Cattigara und Thinä, Sinarum metropolis, also Ost-Afrika mit dem Lande der Tsin (China), verbinden sollte. Diese Mythe, welche den indischen Ocean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Ansichten, die von Marinus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja selbst bis zum Aristoteles hinaufsteigen.62 Es muß in diesen kosmischen Schilderungen fortschreitender Weltansicht genügen durch einige wenige Beispiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wissen das schon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schifffahrt und des Landhandels man glauben durfte das Ganze der Erdgestaltung zu begreifen, desto mehr versuchte, besonders im alexandrinischen Zeitalter, unter den Lagiden und der römischen Weltherrschaft, die nie schlummernde Einbildungskraft der Hellenen in sinnreichen Combinationen alte Ahndungen mit neuem wirklichen Wissen zu verschmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorschnell zu vollenden.

glaubte, so verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntniß der ehemaligen großen Ausdehnung des scythischen Golfes (Karabogas) und der Existenz des Aral-Sees, dessen erste bestimmte Andeutung wir bei einem byzantinischen Schriftsteller, dem Menander60, welcher den Agathias fortsetzte, finden.

Es ist zu beklagen, daß Ptolemäus, der das caspische Meer wiederum geschlossen, nachdem es durch die Hypothese von vier Meerbusen und selbst nach Reflexen in der Mondscheibe61 lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Prasum mit Cattigara und Thinä, Sinarum metropolis, also Ost-Afrika mit dem Lande der Tsin (China), verbinden sollte. Diese Mythe, welche den indischen Ocean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Ansichten, die von Marinus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja selbst bis zum Aristoteles hinaufsteigen.62 Es muß in diesen kosmischen Schilderungen fortschreitender Weltansicht genügen durch einige wenige Beispiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wissen das schon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schifffahrt und des Landhandels man glauben durfte das Ganze der Erdgestaltung zu begreifen, desto mehr versuchte, besonders im alexandrinischen Zeitalter, unter den Lagiden und der römischen Weltherrschaft, die nie schlummernde Einbildungskraft der Hellenen in sinnreichen Combinationen alte Ahndungen mit neuem wirklichen Wissen zu verschmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorschnell zu vollenden.

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[227/0232] glaubte, so verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntniß der ehemaligen großen Ausdehnung des scythischen Golfes (Karabogas) und der Existenz des Aral-Sees, dessen erste bestimmte Andeutung wir bei einem byzantinischen Schriftsteller, dem Menander ⁶⁰ , welcher den Agathias fortsetzte, finden. Es ist zu beklagen, daß Ptolemäus, der das caspische Meer wiederum geschlossen, nachdem es durch die Hypothese von vier Meerbusen und selbst nach Reflexen in der Mondscheibe ⁶¹ lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Prasum mit Cattigara und Thinä, Sinarum metropolis, also Ost-Afrika mit dem Lande der Tsin (China), verbinden sollte. Diese Mythe, welche den indischen Ocean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Ansichten, die von Marinus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja selbst bis zum Aristoteles hinaufsteigen. ⁶² Es muß in diesen kosmischen Schilderungen fortschreitender Weltansicht genügen durch einige wenige Beispiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wissen das schon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schifffahrt und des Landhandels man glauben durfte das Ganze der Erdgestaltung zu begreifen, desto mehr versuchte, besonders im alexandrinischen Zeitalter, unter den Lagiden und der römischen Weltherrschaft, die nie schlummernde Einbildungskraft der Hellenen in sinnreichen Combinationen alte Ahndungen mit neuem wirklichen Wissen zu verschmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorschnell zu vollenden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/232>, abgerufen am 05.05.2024.