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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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berührt. Bemerkenswerth ist auch noch, daß diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung fast nie maaßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken, gefällt sie sich in Gleichnissen, die fast rhythmisch, immer dieselben wiederkehren.

Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des alten Bundes eine treue Abspiegelung der Beschaffenheit des Landes, in welchem das Volk sich bewegte, der Abwechslung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klima's in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr, wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen. Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, daß in dem einzigen 104ten Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: "Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich ausgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Thäler, zu den Orten, die ihnen beschieden: daß sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel singen unter dem Laube

berührt. Bemerkenswerth ist auch noch, daß diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung fast nie maaßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken, gefällt sie sich in Gleichnissen, die fast rhythmisch, immer dieselben wiederkehren.

Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des alten Bundes eine treue Abspiegelung der Beschaffenheit des Landes, in welchem das Volk sich bewegte, der Abwechslung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klima's in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr, wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen. Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, daß in dem einzigen 104ten Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: „Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich ausgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Thäler, zu den Orten, die ihnen beschieden: daß sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel singen unter dem Laube

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[46/0051] berührt. Bemerkenswerth ist auch noch, daß diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung fast nie maaßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken, gefällt sie sich in Gleichnissen, die fast rhythmisch, immer dieselben wiederkehren. Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des alten Bundes eine treue Abspiegelung der Beschaffenheit des Landes, in welchem das Volk sich bewegte, der Abwechslung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klima's in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr, wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen. Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, daß in dem einzigen 104ten Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: „Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich ausgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Thäler, zu den Orten, die ihnen beschieden: daß sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel singen unter dem Laube

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/51>, abgerufen am 29.04.2024.