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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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vielleicht in dem 37sten Capitel des alten, wenn auch nicht vormosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. "Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. -- Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon." -- Es werden die Sitten der Thiere geschildert, des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. -- Wir sehen "den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt."71 Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen, daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders

vielleicht in dem 37sten Capitel des alten, wenn auch nicht vormosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. „Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. — Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon." — Es werden die Sitten der Thiere geschildert, des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. — Wir sehen „den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt."71 Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen, daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders

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vielleicht in dem 37sten Capitel des alten, wenn auch nicht vormosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. &#x201E;Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. &#x2014; Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon." &#x2014; Es werden die Sitten der Thiere geschildert, des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. &#x2014; Wir sehen &#x201E;den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt."<note xml:id="ftn70" next="ftn70-text" place="end" n="71"/> Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen, daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders
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[48/0053] vielleicht in dem 37sten Capitel des alten, wenn auch nicht vormosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. „Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. — Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon." — Es werden die Sitten der Thiere geschildert, des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. — Wir sehen „den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt." ⁷¹ Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen, daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/53>, abgerufen am 29.04.2024.