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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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und nordamerikanischen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen "beschreibender Poesie und Landschaftsdichtung" tadelnd belegt, so bezeichnen diese Benennungen wohl nur den Mißbrauch, welcher vermeintlichen Grenzerweiterungen des Kunstgebietes schuld gegeben wird. Dichterische Beschreibungen von Naturerzeugnissen, wie sie am Ende einer langen und rühmlichen Laufbahn Delille geliefert, sind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunst und Metrik keinesweges als Naturdichtungen im höheren Sinne des Worts zu betrachten. Sie bleiben der Begeisterung und also dem poetischen Boden fremd, sind nüchtern und kalt, wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die sogenannte "beschreibende Poesie" als eine eigene für sich bestehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden ist, so trifft eine solche Mißbilligung gewiß nicht ein ernstes Bestreben die Resultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anschaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von andern durchwanderten Zone, ja ein Theil des Genusses verschafft werden kann, den die unmittelbare Naturanschauung gewährt? Die Araber sagen5 figürlich und sinnig, die beste Beschreibung sei die, "in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird". Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemüthlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat. Verirrungen dieser Art sind um so unerfreulicher, wenn der Styl aus Mangel litterarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit

und nordamerikanischen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen „beschreibender Poesie und Landschaftsdichtung" tadelnd belegt, so bezeichnen diese Benennungen wohl nur den Mißbrauch, welcher vermeintlichen Grenzerweiterungen des Kunstgebietes schuld gegeben wird. Dichterische Beschreibungen von Naturerzeugnissen, wie sie am Ende einer langen und rühmlichen Laufbahn Delille geliefert, sind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunst und Metrik keinesweges als Naturdichtungen im höheren Sinne des Worts zu betrachten. Sie bleiben der Begeisterung und also dem poetischen Boden fremd, sind nüchtern und kalt, wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die sogenannte „beschreibende Poesie" als eine eigene für sich bestehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden ist, so trifft eine solche Mißbilligung gewiß nicht ein ernstes Bestreben die Resultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anschaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von andern durchwanderten Zone, ja ein Theil des Genusses verschafft werden kann, den die unmittelbare Naturanschauung gewährt? Die Araber sagen5 figürlich und sinnig, die beste Beschreibung sei die, „in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird". Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemüthlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat. Verirrungen dieser Art sind um so unerfreulicher, wenn der Styl aus Mangel litterarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit

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[73/0078] und nordamerikanischen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen „beschreibender Poesie und Landschaftsdichtung" tadelnd belegt, so bezeichnen diese Benennungen wohl nur den Mißbrauch, welcher vermeintlichen Grenzerweiterungen des Kunstgebietes schuld gegeben wird. Dichterische Beschreibungen von Naturerzeugnissen, wie sie am Ende einer langen und rühmlichen Laufbahn Delille geliefert, sind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunst und Metrik keinesweges als Naturdichtungen im höheren Sinne des Worts zu betrachten. Sie bleiben der Begeisterung und also dem poetischen Boden fremd, sind nüchtern und kalt, wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die sogenannte „beschreibende Poesie" als eine eigene für sich bestehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden ist, so trifft eine solche Mißbilligung gewiß nicht ein ernstes Bestreben die Resultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anschaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von andern durchwanderten Zone, ja ein Theil des Genusses verschafft werden kann, den die unmittelbare Naturanschauung gewährt? Die Araber sagen ⁵ figürlich und sinnig, die beste Beschreibung sei die, „in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird". Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemüthlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat. Verirrungen dieser Art sind um so unerfreulicher, wenn der Styl aus Mangel litterarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/78>, abgerufen am 29.04.2024.