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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.

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Von diesen Verhältnissen hangen ab die thermischen Zustände der Meeresströme, die meteorologischen Processe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typische und geographische Verbreitung der Organismen. Eine solche Erinnerung an die Aneinanderreihung der tellurischen Erscheinungen, wie sie das Naturgemälde dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweisen, daß durch die bloße Zusammenstellung großer und verwickelt scheinender Resultate der Beobachtung die Einsicht in ihren Causalzusammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur ist aber wesentlich geschwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatsachen der Naturschilderung ihre belebende Wärme entzieht.

So wenig nun in einer, mit Sorgfalt entworfenen, objectiven Darstellung der Erscheinungswelt Vollständigkeit bei Aufzählung der Einzelheiten beabsichtigt worden ist, eben so wenig hat dieselbe erreicht werden sollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Menschen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemessene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet seit Jahrtausenden durch die treibenden Kräfte geistiger Thätigkeit, zeigt uns in den verschiedenen Menschenracen und auf verschiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des Gemüths2, bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menschen zuerst auf die Heiligung von Naturkräften und gewisser Gegenstände der Körperwelt geleitet; später folgt er religiösen Anregungen höherer, rein geistiger Art.3 Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnißvollen Proceß der

Von diesen Verhältnissen hangen ab die thermischen Zustände der Meeresströme, die meteorologischen Processe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typische und geographische Verbreitung der Organismen. Eine solche Erinnerung an die Aneinanderreihung der tellurischen Erscheinungen, wie sie das Naturgemälde dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweisen, daß durch die bloße Zusammenstellung großer und verwickelt scheinender Resultate der Beobachtung die Einsicht in ihren Causalzusammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur ist aber wesentlich geschwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatsachen der Naturschilderung ihre belebende Wärme entzieht.

So wenig nun in einer, mit Sorgfalt entworfenen, objectiven Darstellung der Erscheinungswelt Vollständigkeit bei Aufzählung der Einzelheiten beabsichtigt worden ist, eben so wenig hat dieselbe erreicht werden sollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Menschen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemessene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet seit Jahrtausenden durch die treibenden Kräfte geistiger Thätigkeit, zeigt uns in den verschiedenen Menschenracen und auf verschiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des Gemüths2, bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menschen zuerst auf die Heiligung von Naturkräften und gewisser Gegenstände der Körperwelt geleitet; später folgt er religiösen Anregungen höherer, rein geistiger Art.3 Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnißvollen Proceß der

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Von diesen Verhältnissen hangen ab die thermischen Zustände der Meeresströme, die meteorologischen Processe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typische und geographische Verbreitung der Organismen. Eine solche Erinnerung an die Aneinanderreihung der tellurischen Erscheinungen, wie sie das <hi rendition="#g">Naturgemälde</hi> dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweisen, daß durch die bloße Zusammenstellung großer und verwickelt scheinender Resultate der Beobachtung die Einsicht in ihren <hi rendition="#g">Causalzusammenhang</hi> gefördert wird. Die Deutung der Natur ist aber wesentlich geschwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatsachen der Naturschilderung ihre belebende Wärme entzieht.</p>
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[6/0011] Von diesen Verhältnissen hangen ab die thermischen Zustände der Meeresströme, die meteorologischen Processe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typische und geographische Verbreitung der Organismen. Eine solche Erinnerung an die Aneinanderreihung der tellurischen Erscheinungen, wie sie das Naturgemälde dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweisen, daß durch die bloße Zusammenstellung großer und verwickelt scheinender Resultate der Beobachtung die Einsicht in ihren Causalzusammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur ist aber wesentlich geschwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatsachen der Naturschilderung ihre belebende Wärme entzieht. So wenig nun in einer, mit Sorgfalt entworfenen, objectiven Darstellung der Erscheinungswelt Vollständigkeit bei Aufzählung der Einzelheiten beabsichtigt worden ist, eben so wenig hat dieselbe erreicht werden sollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Menschen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemessene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet seit Jahrtausenden durch die treibenden Kräfte geistiger Thätigkeit, zeigt uns in den verschiedenen Menschenracen und auf verschiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des Gemüths ² , bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menschen zuerst auf die Heiligung von Naturkräften und gewisser Gegenstände der Körperwelt geleitet; später folgt er religiösen Anregungen höherer, rein geistiger Art. ³ Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnißvollen Proceß der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/11>, abgerufen am 27.04.2024.