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Humboldt, Alexander von: Neue Versuche über den Metallreiz, besonders in Hinsicht auf die verschiedenartige Empfänglichkeit der thierischen Organe. In: Neues Journal der Physik. Bd. 3, H. 2 (1796), S. 165-184.

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So können alle bisherigen Erfahrungen in 13
Formeln übersichtlich zusammengedrängt werden, und
eine Theorie, welche den Galvanischen Reitz erklären
soll, muß nicht auf einige Fälle, sondern auf alle pas-
sen. Wer sich mit der Voltaischen Theorie genau be-
kannt gemacht hat, fühlt von selbst, daß nicht etwa
die Erfahrungen von homogenen Metallen (I. 2. b. a.)
sondern die I. 1. so wie I. 2. a. und besonders der
positive Fall, Frosch R. L. r. L. R., dieselbe ganz um-
stürzen.

Die galvanischen Beobachtungen haben mir einen
neuen Weg eröfnet, interessante Versuche über specifike
Reitze der irritabelen und sensibelen Fiber, über die stheni-
sche und asthenische Kraft chemischer Stoffe anzustellen.
Sie werden eine lange Reihe davon in meiner Schrift
finden und gewiß mit mir über das wundersame Ver-
schwinden, Wiederkehren und abermalige Verschwinden
der Erregbarkeit erstaunen. Herr Reil (Archiv der
Physiologie B. 1. H. 1. S. 94.) hat hierüber scharf-
sinnige Muthmassungen geäußert. Was die Säuren für
die Muskelfaser sind, scheinen mir die Alkalien für die
sensible Fiber zu seyn. Kochsalzsäure auf den Muskel
gestrichen, zeigt mir vermehrten Reitz, auf den Nerven
gestrichen, vernichtet sie alle Reitzempfänglichkeit. Diese
kehrt auch nicht zurück, wenn Sie die Säure durch al-
kalische Solutionen abzustumpfen suchen; obgleich das
Organ (wie meine neue Entdeckung über oxygenirte
Kochsalzsäure lehrt) wohl nicht zerstöhrt ist. Alkalische
Solutionen, (besonders das Oleum tartari per deliquium,
dem der Spiritus salis ammoniaci aquosus weit nachsteht),
bringen matte Frösche zu heftigen Zuckungen. Fortge-
setztes Bestreichen des Nerven mit Alkalien erzeugt, wie
bey allen Ueberreitzungen, vollkommene Atonie, nach

Brown

So koͤnnen alle bisherigen Erfahrungen in 13
Formeln uͤberſichtlich zuſammengedraͤngt werden, und
eine Theorie, welche den Galvaniſchen Reitz erklaͤren
ſoll, muß nicht auf einige Faͤlle, ſondern auf alle paſ-
ſen. Wer ſich mit der Voltaiſchen Theorie genau be-
kannt gemacht hat, fuͤhlt von ſelbſt, daß nicht etwa
die Erfahrungen von homogenen Metallen (I. 2. b. α.)
ſondern die I. 1. ſo wie I. 2. a. und beſonders der
poſitive Fall, Froſch R. L. r. L. R., dieſelbe ganz um-
ſtuͤrzen.

Die galvaniſchen Beobachtungen haben mir einen
neuen Weg eroͤfnet, intereſſante Verſuche uͤber ſpecifike
Reitze der irritabelen und ſenſibelen Fiber, uͤber die ſtheni-
ſche und aſtheniſche Kraft chemiſcher Stoffe anzuſtellen.
Sie werden eine lange Reihe davon in meiner Schrift
finden und gewiß mit mir uͤber das wunderſame Ver-
ſchwinden, Wiederkehren und abermalige Verſchwinden
der Erregbarkeit erſtaunen. Herr Reil (Archiv der
Phyſiologie B. 1. H. 1. S. 94.) hat hieruͤber ſcharf-
ſinnige Muthmaſſungen geaͤußert. Was die Saͤuren fuͤr
die Muskelfaſer ſind, ſcheinen mir die Alkalien fuͤr die
ſenſible Fiber zu ſeyn. Kochſalzſaͤure auf den Muskel
geſtrichen, zeigt mir vermehrten Reitz, auf den Nerven
geſtrichen, vernichtet ſie alle Reitzempfaͤnglichkeit. Dieſe
kehrt auch nicht zuruͤck, wenn Sie die Saͤure durch al-
kaliſche Solutionen abzuſtumpfen ſuchen; obgleich das
Organ (wie meine neue Entdeckung uͤber oxygenirte
Kochſalzſaͤure lehrt) wohl nicht zerſtoͤhrt iſt. Alkaliſche
Solutionen, (beſonders das Oleum tartari per deliquium,
dem der Spiritus ſalis ammoniaci aquoſus weit nachſteht),
bringen matte Froͤſche zu heftigen Zuckungen. Fortge-
ſetztes Beſtreichen des Nerven mit Alkalien erzeugt, wie
bey allen Ueberreitzungen, vollkommene Atonie, nach

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[182/0019] So koͤnnen alle bisherigen Erfahrungen in 13 Formeln uͤberſichtlich zuſammengedraͤngt werden, und eine Theorie, welche den Galvaniſchen Reitz erklaͤren ſoll, muß nicht auf einige Faͤlle, ſondern auf alle paſ- ſen. Wer ſich mit der Voltaiſchen Theorie genau be- kannt gemacht hat, fuͤhlt von ſelbſt, daß nicht etwa die Erfahrungen von homogenen Metallen (I. 2. b. α.) ſondern die I. 1. ſo wie I. 2. a. und beſonders der poſitive Fall, Froſch R. L. r. L. R., dieſelbe ganz um- ſtuͤrzen. Die galvaniſchen Beobachtungen haben mir einen neuen Weg eroͤfnet, intereſſante Verſuche uͤber ſpecifike Reitze der irritabelen und ſenſibelen Fiber, uͤber die ſtheni- ſche und aſtheniſche Kraft chemiſcher Stoffe anzuſtellen. Sie werden eine lange Reihe davon in meiner Schrift finden und gewiß mit mir uͤber das wunderſame Ver- ſchwinden, Wiederkehren und abermalige Verſchwinden der Erregbarkeit erſtaunen. Herr Reil (Archiv der Phyſiologie B. 1. H. 1. S. 94.) hat hieruͤber ſcharf- ſinnige Muthmaſſungen geaͤußert. Was die Saͤuren fuͤr die Muskelfaſer ſind, ſcheinen mir die Alkalien fuͤr die ſenſible Fiber zu ſeyn. Kochſalzſaͤure auf den Muskel geſtrichen, zeigt mir vermehrten Reitz, auf den Nerven geſtrichen, vernichtet ſie alle Reitzempfaͤnglichkeit. Dieſe kehrt auch nicht zuruͤck, wenn Sie die Saͤure durch al- kaliſche Solutionen abzuſtumpfen ſuchen; obgleich das Organ (wie meine neue Entdeckung uͤber oxygenirte Kochſalzſaͤure lehrt) wohl nicht zerſtoͤhrt iſt. Alkaliſche Solutionen, (beſonders das Oleum tartari per deliquium, dem der Spiritus ſalis ammoniaci aquoſus weit nachſteht), bringen matte Froͤſche zu heftigen Zuckungen. Fortge- ſetztes Beſtreichen des Nerven mit Alkalien erzeugt, wie bey allen Ueberreitzungen, vollkommene Atonie, nach Brown

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Neue Versuche über den Metallreiz, besonders in Hinsicht auf die verschiedenartige Empfänglichkeit der thierischen Organe. In: Neues Journal der Physik. Bd. 3, H. 2 (1796), S. 165-184, hier S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_metallreiz_1796/19>, abgerufen am 26.04.2024.