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Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.

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Annalen etc., Oktober 1837. -- Länder- und Völkerkunde.
Einer dieser Kriks ist ein Zufluß des Tacutu, der andere ein Zufluß
des Uraricuera. Selbst am Fuße des Pacaraina-Gebirges sind die
Flüsse großen periodischen Überschwemmungen ausgesetzt, und der
Amucu-See, von dem weiter unten die Rede sein wird, zeigt den-
selben Karakter der Lage am Eingange der Ebenen. Die Spani-
schen Missionen Santa Rosa und San Bautista de Caudacada
oder Cayacaya, in den Jahren 1770 und 1773 von dem Gouverneur
Don Manuel Centurion gegründet, sind vor dem Ende des vorigen
Jahrhunderts zerstört worden, und seit dieser Zeit ist kein neüer Ver-
such gemacht, um von dem Becken des Caroni nach dem Süd-
Abhange der Pacaraina-Kette vorzudringen.

Nur in dem, östlich von dem Thale des Rio Branco gelegenen
Landstriche sind in den letzten Jahren glückliche Forschungen ange-
stellt worden. Herr Hillhouse ist den Massaruni aufwärts gegan-
gen bis zu dem Bache Caranang, von wo, wie er sagt, ein gebahn-
ter Weg (sentier) den Reisenden in zwei Tagen zu den Quellen des
Massaruni und in drei Tagen zu den Zuflüssen des Rio Branco
geführt haben würde. Über die Krümmungen des großen Massa-
runi-Flusses, den Herr Hillhouse beschrieben hat, bemerkt er in ei-
nem Schreiben, das er (aus Demerary, unterm 1. Januar 1831)
an mich gerichtet hat, "daß der Massaruni sich sogleich von seiner
Quelle an gegen Westen wende, dann durch einen Breitengrad ge-
gen Norden, dann fast 200 (Engl.) Meilen weit ostwärts fließe
und endlich eine Nord- und N. N. O.-Richtung annehme, um sich
mit dem Essequido zu vereinigen." Da Herr Hillhouse den Süd-
Abhang der Pacaraina-Kette nicht erreichen konnte, so hat er auch
keine Kenntniß vom Amucu-See. Er erzählt sogar in seiner ge-
druckten Abhandlung, daß er "durch die Nachrichten, die ihm
von den Accauais mitgetheilt wurden, welche beständig das Land
zwischen der Küste und dem Amazonen-Strome durchziehen, die
Gewißheit erlangt hat, daß in allen jenen Gegenden kein See vor-
handen sei." Diese Versicherung überraschte mich; sie stand in di-
rektem Widerspruch mit den Nachrichten, die ich über den Amucu-
See, aus dem der Canno Pirara entspringt, aus den Reiseta-
gebüchern von Hortsmann, Santos und Rodriguez geschöpft und
die mir um so größeres Vertrauen eingeflößt hatten, als sie voll-
kommen mit den neüeren Portugiesischen Manuscript-Karten über-
einstimmen. Endlich nach fünf Jahren hat die Reise des Herrn
Schomburgk alle Zweifel gehoben.

"Es ist schwer zu glauben," sagt Herr Hillhouse in seiner in-
teressanten Abhandlung über den Massaruni, "daß der Tradition
von einem großen Binnen-See nicht etwas Wahres zum Grund

Annalen ꝛc., Oktober 1837. — Laͤnder- und Voͤlkerkunde.
Einer dieſer Kriks iſt ein Zufluß des Tacutu, der andere ein Zufluß
des Uraricuera. Selbſt am Fuße des Pacaraina-Gebirges ſind die
Fluͤſſe großen periodiſchen Überſchwemmungen ausgeſetzt, und der
Amucu-See, von dem weiter unten die Rede ſein wird, zeigt den-
ſelben Karakter der Lage am Eingange der Ebenen. Die Spani-
ſchen Miſſionen Santa Roſa und San Bautiſta de Caudacada
oder Cayacaya, in den Jahren 1770 und 1773 von dem Gouverneur
Don Manuel Centurion gegruͤndet, ſind vor dem Ende des vorigen
Jahrhunderts zerſtoͤrt worden, und ſeit dieſer Zeit iſt kein neuͤer Ver-
ſuch gemacht, um von dem Becken des Caroni nach dem Suͤd-
Abhange der Pacaraina-Kette vorzudringen.

Nur in dem, oͤſtlich von dem Thale des Rio Branco gelegenen
Landſtriche ſind in den letzten Jahren gluͤckliche Forſchungen ange-
ſtellt worden. Herr Hillhouſe iſt den Maſſaruni aufwaͤrts gegan-
gen bis zu dem Bache Caranang, von wo, wie er ſagt, ein gebahn-
ter Weg (sentier) den Reiſenden in zwei Tagen zu den Quellen des
Maſſaruni und in drei Tagen zu den Zufluͤſſen des Rio Branco
gefuͤhrt haben wuͤrde. Über die Kruͤmmungen des großen Maſſa-
runi-Fluſſes, den Herr Hillhouſe beſchrieben hat, bemerkt er in ei-
nem Schreiben, das er (aus Demerary, unterm 1. Januar 1831)
an mich gerichtet hat, „daß der Maſſaruni ſich ſogleich von ſeiner
Quelle an gegen Weſten wende, dann durch einen Breitengrad ge-
gen Norden, dann faſt 200 (Engl.) Meilen weit oſtwaͤrts fließe
und endlich eine Nord- und N. N. O.-Richtung annehme, um ſich
mit dem Eſſequido zu vereinigen.“ Da Herr Hillhouſe den Suͤd-
Abhang der Pacaraina-Kette nicht erreichen konnte, ſo hat er auch
keine Kenntniß vom Amucu-See. Er erzaͤhlt ſogar in ſeiner ge-
druckten Abhandlung, daß er „durch die Nachrichten, die ihm
von den Accauais mitgetheilt wurden, welche beſtaͤndig das Land
zwiſchen der Kuͤſte und dem Amazonen-Strome durchziehen, die
Gewißheit erlangt hat, daß in allen jenen Gegenden kein See vor-
handen ſei.“ Dieſe Verſicherung uͤberraſchte mich; ſie ſtand in di-
rektem Widerſpruch mit den Nachrichten, die ich uͤber den Amucu-
See, aus dem der Caño Pirara entſpringt, aus den Reiſeta-
gebuͤchern von Hortsmann, Santos und Rodriguez geſchoͤpft und
die mir um ſo groͤßeres Vertrauen eingefloͤßt hatten, als ſie voll-
kommen mit den neuͤeren Portugieſiſchen Manuſcript-Karten uͤber-
einſtimmen. Endlich nach fuͤnf Jahren hat die Reiſe des Herrn
Schomburgk alle Zweifel gehoben.

„Es iſt ſchwer zu glauben,“ ſagt Herr Hillhouſe in ſeiner in-
tereſſanten Abhandlung uͤber den Maſſaruni, „daß der Tradition
von einem großen Binnen-See nicht etwas Wahres zum Grund

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[54/0020] Annalen ꝛc., Oktober 1837. — Laͤnder- und Voͤlkerkunde. Einer dieſer Kriks iſt ein Zufluß des Tacutu, der andere ein Zufluß des Uraricuera. Selbſt am Fuße des Pacaraina-Gebirges ſind die Fluͤſſe großen periodiſchen Überſchwemmungen ausgeſetzt, und der Amucu-See, von dem weiter unten die Rede ſein wird, zeigt den- ſelben Karakter der Lage am Eingange der Ebenen. Die Spani- ſchen Miſſionen Santa Roſa und San Bautiſta de Caudacada oder Cayacaya, in den Jahren 1770 und 1773 von dem Gouverneur Don Manuel Centurion gegruͤndet, ſind vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts zerſtoͤrt worden, und ſeit dieſer Zeit iſt kein neuͤer Ver- ſuch gemacht, um von dem Becken des Caroni nach dem Suͤd- Abhange der Pacaraina-Kette vorzudringen. Nur in dem, oͤſtlich von dem Thale des Rio Branco gelegenen Landſtriche ſind in den letzten Jahren gluͤckliche Forſchungen ange- ſtellt worden. Herr Hillhouſe iſt den Maſſaruni aufwaͤrts gegan- gen bis zu dem Bache Caranang, von wo, wie er ſagt, ein gebahn- ter Weg (sentier) den Reiſenden in zwei Tagen zu den Quellen des Maſſaruni und in drei Tagen zu den Zufluͤſſen des Rio Branco gefuͤhrt haben wuͤrde. Über die Kruͤmmungen des großen Maſſa- runi-Fluſſes, den Herr Hillhouſe beſchrieben hat, bemerkt er in ei- nem Schreiben, das er (aus Demerary, unterm 1. Januar 1831) an mich gerichtet hat, „daß der Maſſaruni ſich ſogleich von ſeiner Quelle an gegen Weſten wende, dann durch einen Breitengrad ge- gen Norden, dann faſt 200 (Engl.) Meilen weit oſtwaͤrts fließe und endlich eine Nord- und N. N. O.-Richtung annehme, um ſich mit dem Eſſequido zu vereinigen.“ Da Herr Hillhouſe den Suͤd- Abhang der Pacaraina-Kette nicht erreichen konnte, ſo hat er auch keine Kenntniß vom Amucu-See. Er erzaͤhlt ſogar in ſeiner ge- druckten Abhandlung, daß er „durch die Nachrichten, die ihm von den Accauais mitgetheilt wurden, welche beſtaͤndig das Land zwiſchen der Kuͤſte und dem Amazonen-Strome durchziehen, die Gewißheit erlangt hat, daß in allen jenen Gegenden kein See vor- handen ſei.“ Dieſe Verſicherung uͤberraſchte mich; ſie ſtand in di- rektem Widerſpruch mit den Nachrichten, die ich uͤber den Amucu- See, aus dem der Caño Pirara entſpringt, aus den Reiſeta- gebuͤchern von Hortsmann, Santos und Rodriguez geſchoͤpft und die mir um ſo groͤßeres Vertrauen eingefloͤßt hatten, als ſie voll- kommen mit den neuͤeren Portugieſiſchen Manuſcript-Karten uͤber- einſtimmen. Endlich nach fuͤnf Jahren hat die Reiſe des Herrn Schomburgk alle Zweifel gehoben. „Es iſt ſchwer zu glauben,“ ſagt Herr Hillhouſe in ſeiner in- tereſſanten Abhandlung uͤber den Maſſaruni, „daß der Tradition von einem großen Binnen-See nicht etwas Wahres zum Grund

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62, hier S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_punkte_1837/20>, abgerufen am 29.04.2024.