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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.
denselben Breite-Graden und in derselben Höhe über dem Meeresspiegel
wahrnimmt, nicht von dem kleinlichen Einflusse individueller Örtlichkeiten
herrühren, sondern allgemeinen Gesetzen unterworfen sind, welche durch
die Gestalt der Continental-Massen, durch ihre Umrisse, den Zustand ihrer
Oberfläche, besonders aber durch ihr Stellungs- und Größen-Verhältniß zu
den benachbarten Meeren bestimmt wird. Die relative Lage durchsichtiger
und undurchsichtiger, tropfbar flüssiger oder fester Theile der Erdober-
fläche modificirt (um mich der Sprache der mechanischen Physik zu bedie-
nen), die Absorption der, unter gleichen Winkeln einfallenden Sonnen-
strahlen, und mit ihr die Erzeugung der Wärme. Diese Umstände, die win-
terliche Bedeckung mit Eis und Schnee, welche den Continenten, und nur
einem sehr kleinen Theile der Meere eigen ist, die Langsamkeit mit welcher
große Wassermassen sich erwärmen und erkälten; das Strahlen glatter oder
rauher Oberflächen gegen einen wolkenfreien Himmel; die regelmäßigen
Ströhmungen des Oceans und der Atmosphäre, welche Wasser und Luft
aus verschiedenen Breiten und aus verschiedenen Tiefen und Höhen mit
einander mischen, sind die Hauptmomente, von denen die Eigenthümlich-
keiten klimatischer Verhältnisse abhängen. Demnach hat jeder Ort gleich-
sam ein zwiefaches Klima: eines, das von allgemeinen und fernen Ursachen,
von der Stellung der Continental-Massen und ihrer Gestaltung abhängt;
ein anderes, welches specielle, nahe liegende Verhältnisse der Localität be-
stimmen.

Seitdem man angefangen hat, das Problem der geographischen Wärme-
Vertheilung in seiner ganzen Allgemeinheit zu fassen, sind meteorologische
Beobachtungen minder geistlos und zweckwidrig angestellt worden. Eine
kleinere Zahl derselben führt jetzt zu bestimmten Resultaten; und Ent-
deckungen, welche in den letzten Jahrzehenden in den fernsten Theilen der
Erde gemacht worden sind, haben den Gesichtspunkt allmählig erweitert.
Ohne dem Einsammeln von Natur-Producten oder den Fortschritten einer
speciellen Naturbeschreibung zu schaden, sind nach und nach Physik und
Geognosie wichtige Gegenstände aller großen Land- und See-Reisen ge-
worden. Um mit dem äußersten Norden zu beginnen, erwähne ich hier zu-
erst eines Mannes, den die gefahrvollen und lästigen Beschäftigungen seines
Berufs, des Wallfischfanges, nicht abgehalten haben, die feinsten meteoro-
logischen und zoologischen Beobachtungen anzustellen. Herr Scoresby

Phys. Klasse 1827.    P p

über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.
denselben Breite-Graden und in derselben Höhe über dem Meeresspiegel
wahrnimmt, nicht von dem kleinlichen Einflusse individueller Örtlichkeiten
herrühren, sondern allgemeinen Gesetzen unterworfen sind, welche durch
die Gestalt der Continental-Massen, durch ihre Umrisse, den Zustand ihrer
Oberfläche, besonders aber durch ihr Stellungs- und Größen-Verhältniß zu
den benachbarten Meeren bestimmt wird. Die relative Lage durchsichtiger
und undurchsichtiger, tropfbar flüssiger oder fester Theile der Erdober-
fläche modificirt (um mich der Sprache der mechanischen Physik zu bedie-
nen), die Absorption der, unter gleichen Winkeln einfallenden Sonnen-
strahlen, und mit ihr die Erzeugung der Wärme. Diese Umstände, die win-
terliche Bedeckung mit Eis und Schnee, welche den Continenten, und nur
einem sehr kleinen Theile der Meere eigen ist, die Langsamkeit mit welcher
große Wassermassen sich erwärmen und erkälten; das Strahlen glatter oder
rauher Oberflächen gegen einen wolkenfreien Himmel; die regelmäßigen
Ströhmungen des Oceans und der Atmosphäre, welche Wasser und Luft
aus verschiedenen Breiten und aus verschiedenen Tiefen und Höhen mit
einander mischen, sind die Hauptmomente, von denen die Eigenthümlich-
keiten klimatischer Verhältnisse abhängen. Demnach hat jeder Ort gleich-
sam ein zwiefaches Klima: eines, das von allgemeinen und fernen Ursachen,
von der Stellung der Continental-Massen und ihrer Gestaltung abhängt;
ein anderes, welches specielle, nahe liegende Verhältnisse der Localität be-
stimmen.

Seitdem man angefangen hat, das Problem der geographischen Wärme-
Vertheilung in seiner ganzen Allgemeinheit zu fassen, sind meteorologische
Beobachtungen minder geistlos und zweckwidrig angestellt worden. Eine
kleinere Zahl derselben führt jetzt zu bestimmten Resultaten; und Ent-
deckungen, welche in den letzten Jahrzehenden in den fernsten Theilen der
Erde gemacht worden sind, haben den Gesichtspunkt allmählig erweitert.
Ohne dem Einsammeln von Natur-Producten oder den Fortschritten einer
speciellen Naturbeschreibung zu schaden, sind nach und nach Physik und
Geognosie wichtige Gegenstände aller großen Land- und See-Reisen ge-
worden. Um mit dem äußersten Norden zu beginnen, erwähne ich hier zu-
erst eines Mannes, den die gefahrvollen und lästigen Beschäftigungen seines
Berufs, des Wallfischfanges, nicht abgehalten haben, die feinsten meteoro-
logischen und zoologischen Beobachtungen anzustellen. Herr Scoresby

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[297/0004] über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. denselben Breite-Graden und in derselben Höhe über dem Meeresspiegel wahrnimmt, nicht von dem kleinlichen Einflusse individueller Örtlichkeiten herrühren, sondern allgemeinen Gesetzen unterworfen sind, welche durch die Gestalt der Continental-Massen, durch ihre Umrisse, den Zustand ihrer Oberfläche, besonders aber durch ihr Stellungs- und Größen-Verhältniß zu den benachbarten Meeren bestimmt wird. Die relative Lage durchsichtiger und undurchsichtiger, tropfbar flüssiger oder fester Theile der Erdober- fläche modificirt (um mich der Sprache der mechanischen Physik zu bedie- nen), die Absorption der, unter gleichen Winkeln einfallenden Sonnen- strahlen, und mit ihr die Erzeugung der Wärme. Diese Umstände, die win- terliche Bedeckung mit Eis und Schnee, welche den Continenten, und nur einem sehr kleinen Theile der Meere eigen ist, die Langsamkeit mit welcher große Wassermassen sich erwärmen und erkälten; das Strahlen glatter oder rauher Oberflächen gegen einen wolkenfreien Himmel; die regelmäßigen Ströhmungen des Oceans und der Atmosphäre, welche Wasser und Luft aus verschiedenen Breiten und aus verschiedenen Tiefen und Höhen mit einander mischen, sind die Hauptmomente, von denen die Eigenthümlich- keiten klimatischer Verhältnisse abhängen. Demnach hat jeder Ort gleich- sam ein zwiefaches Klima: eines, das von allgemeinen und fernen Ursachen, von der Stellung der Continental-Massen und ihrer Gestaltung abhängt; ein anderes, welches specielle, nahe liegende Verhältnisse der Localität be- stimmen. Seitdem man angefangen hat, das Problem der geographischen Wärme- Vertheilung in seiner ganzen Allgemeinheit zu fassen, sind meteorologische Beobachtungen minder geistlos und zweckwidrig angestellt worden. Eine kleinere Zahl derselben führt jetzt zu bestimmten Resultaten; und Ent- deckungen, welche in den letzten Jahrzehenden in den fernsten Theilen der Erde gemacht worden sind, haben den Gesichtspunkt allmählig erweitert. Ohne dem Einsammeln von Natur-Producten oder den Fortschritten einer speciellen Naturbeschreibung zu schaden, sind nach und nach Physik und Geognosie wichtige Gegenstände aller großen Land- und See-Reisen ge- worden. Um mit dem äußersten Norden zu beginnen, erwähne ich hier zu- erst eines Mannes, den die gefahrvollen und lästigen Beschäftigungen seines Berufs, des Wallfischfanges, nicht abgehalten haben, die feinsten meteoro- logischen und zoologischen Beobachtungen anzustellen. Herr Scoresby Phys. Klasse 1827. P p

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/4>, abgerufen am 26.04.2024.