Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite



den Rabbi um Freisprechung (Absolution). Die
könnte nun freilich entbehrt werden; haben aber
christliche Pfaffen das Recht, Sünden zu vergeben,
wie will man es den jüdischen bestreiten? Dann
verzeihet der Sterbende seinen Feinden, aber leider,
dem Pharao, dem Haman, dem Sammael und
uns armen Gojim nicht. Hat er Kinder, so er-
theilt er ihnen seinen Segen; hat er Eltern, so
läßt er sich von diesen segnen, offenbart zugleich die
Geheimnisse seiner Seele dem Rabbiner, der, gleich
unsern Pfarrern, zur Verschwiegenheit verbunden
ist, und beschließt mit den Worten: mein Tod sey
die Versöhnung für alle meine Sünden! sein Leben.

Die Errichtung ihrer letztwilligen Verordnun-
gen verschieben die Juden, wie viele Christen selbst
dann, wann sie in verwickelten Verhältnissen leben
und alt oder kränklich sind, gewöhnlich bis zur
Todesstunde. Uebrigens haben sie den sehr lobens-
werthen Grundsatz, keinen ihrer rechtmäßigen Erben
zu übergehen oder zu enterben, selbst wenn er sich
gegen sie eines Verbrechens schuldig gemacht hätte,
weil er gute Kinder und Nachkommen haben
könnte, die dann ohne ihre Schuld für sein Ver-
gehen büßen müßten.

Jn dieser Hinsicht erscheinen die Juden weit
achtungswürdiger und vernünftiger, als manche
Christen, die in der Todesstunde voll bittern Grolls
wegen einer, oft nur vermeintlichen Beleidigung



den Rabbi um Freiſprechung (Abſolution). Die
koͤnnte nun freilich entbehrt werden; haben aber
chriſtliche Pfaffen das Recht, Suͤnden zu vergeben,
wie will man es den juͤdiſchen beſtreiten? Dann
verzeihet der Sterbende ſeinen Feinden, aber leider,
dem Pharao, dem Haman, dem Sammael und
uns armen Gojim nicht. Hat er Kinder, ſo er-
theilt er ihnen ſeinen Segen; hat er Eltern, ſo
laͤßt er ſich von dieſen ſegnen, offenbart zugleich die
Geheimniſſe ſeiner Seele dem Rabbiner, der, gleich
unſern Pfarrern, zur Verſchwiegenheit verbunden
iſt, und beſchließt mit den Worten: mein Tod ſey
die Verſoͤhnung fuͤr alle meine Suͤnden! ſein Leben.

Die Errichtung ihrer letztwilligen Verordnun-
gen verſchieben die Juden, wie viele Chriſten ſelbſt
dann, wann ſie in verwickelten Verhaͤltniſſen leben
und alt oder kraͤnklich ſind, gewoͤhnlich bis zur
Todesſtunde. Uebrigens haben ſie den ſehr lobens-
werthen Grundſatz, keinen ihrer rechtmaͤßigen Erben
zu uͤbergehen oder zu enterben, ſelbſt wenn er ſich
gegen ſie eines Verbrechens ſchuldig gemacht haͤtte,
weil er gute Kinder und Nachkommen haben
koͤnnte, die dann ohne ihre Schuld fuͤr ſein Ver-
gehen buͤßen muͤßten.

Jn dieſer Hinſicht erſcheinen die Juden weit
achtungswuͤrdiger und vernuͤnftiger, als manche
Chriſten, die in der Todesſtunde voll bittern Grolls
wegen einer, oft nur vermeintlichen Beleidigung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0429" n="429"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
den Rabbi um Frei&#x017F;prechung (Ab&#x017F;olution). Die<lb/>
ko&#x0364;nnte nun freilich entbehrt werden; haben aber<lb/>
chri&#x017F;tliche Pfaffen das Recht, Su&#x0364;nden zu vergeben,<lb/>
wie will man es den ju&#x0364;di&#x017F;chen be&#x017F;treiten? Dann<lb/>
verzeihet der Sterbende &#x017F;einen Feinden, aber leider,<lb/>
dem Pharao, dem Haman, dem Sammael und<lb/>
uns armen Gojim nicht. Hat er Kinder, &#x017F;o er-<lb/>
theilt er ihnen &#x017F;einen Segen; hat er Eltern, &#x017F;o<lb/>
la&#x0364;ßt er &#x017F;ich von die&#x017F;en &#x017F;egnen, offenbart zugleich die<lb/>
Geheimni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Seele dem Rabbiner, der, gleich<lb/>
un&#x017F;ern Pfarrern, zur Ver&#x017F;chwiegenheit verbunden<lb/>
i&#x017F;t, und be&#x017F;chließt mit den Worten: mein Tod &#x017F;ey<lb/>
die Ver&#x017F;o&#x0364;hnung fu&#x0364;r alle meine Su&#x0364;nden! &#x017F;ein Leben.</p><lb/>
        <p>Die Errichtung ihrer letztwilligen Verordnun-<lb/>
gen ver&#x017F;chieben die Juden, wie viele Chri&#x017F;ten &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dann, wann &#x017F;ie in verwickelten Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en leben<lb/>
und alt oder kra&#x0364;nklich &#x017F;ind, gewo&#x0364;hnlich bis zur<lb/>
Todes&#x017F;tunde. Uebrigens haben &#x017F;ie den &#x017F;ehr lobens-<lb/>
werthen Grund&#x017F;atz, keinen ihrer rechtma&#x0364;ßigen Erben<lb/>
zu u&#x0364;bergehen oder zu enterben, &#x017F;elb&#x017F;t wenn er &#x017F;ich<lb/>
gegen &#x017F;ie eines Verbrechens &#x017F;chuldig gemacht ha&#x0364;tte,<lb/>
weil er gute Kinder und Nachkommen haben<lb/>
ko&#x0364;nnte, die dann ohne ihre Schuld fu&#x0364;r &#x017F;ein Ver-<lb/>
gehen bu&#x0364;ßen mu&#x0364;ßten.</p><lb/>
        <p>Jn die&#x017F;er Hin&#x017F;icht er&#x017F;cheinen die Juden weit<lb/>
achtungswu&#x0364;rdiger und vernu&#x0364;nftiger, als manche<lb/>
Chri&#x017F;ten, die in der Todes&#x017F;tunde voll bittern Grolls<lb/>
wegen einer, oft nur vermeintlichen Beleidigung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[429/0429] den Rabbi um Freiſprechung (Abſolution). Die koͤnnte nun freilich entbehrt werden; haben aber chriſtliche Pfaffen das Recht, Suͤnden zu vergeben, wie will man es den juͤdiſchen beſtreiten? Dann verzeihet der Sterbende ſeinen Feinden, aber leider, dem Pharao, dem Haman, dem Sammael und uns armen Gojim nicht. Hat er Kinder, ſo er- theilt er ihnen ſeinen Segen; hat er Eltern, ſo laͤßt er ſich von dieſen ſegnen, offenbart zugleich die Geheimniſſe ſeiner Seele dem Rabbiner, der, gleich unſern Pfarrern, zur Verſchwiegenheit verbunden iſt, und beſchließt mit den Worten: mein Tod ſey die Verſoͤhnung fuͤr alle meine Suͤnden! ſein Leben. Die Errichtung ihrer letztwilligen Verordnun- gen verſchieben die Juden, wie viele Chriſten ſelbſt dann, wann ſie in verwickelten Verhaͤltniſſen leben und alt oder kraͤnklich ſind, gewoͤhnlich bis zur Todesſtunde. Uebrigens haben ſie den ſehr lobens- werthen Grundſatz, keinen ihrer rechtmaͤßigen Erben zu uͤbergehen oder zu enterben, ſelbſt wenn er ſich gegen ſie eines Verbrechens ſchuldig gemacht haͤtte, weil er gute Kinder und Nachkommen haben koͤnnte, die dann ohne ihre Schuld fuͤr ſein Ver- gehen buͤßen muͤßten. Jn dieſer Hinſicht erſcheinen die Juden weit achtungswuͤrdiger und vernuͤnftiger, als manche Chriſten, die in der Todesſtunde voll bittern Grolls wegen einer, oft nur vermeintlichen Beleidigung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/429
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/429>, abgerufen am 07.05.2024.