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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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Mädchenschulwesens zu veranlassen, dem dann
Sachsen, Hessen und Bayern in kurzen Abständen
folgten.

Es war ein großer Gewinn, daß dadurch der
ästhetischen und Gefühlsbildung endlich Valet ge-
sagt, und die Verstandesbildung in Angriff ge-
nommen wurde, ein großer Schritt war damit vor-
wärts getan, aber nur ein Schritt, an eine voll-
ständige, befriedigende Lösung der höheren Frauen-
bildungsfrage war noch lange nicht zu denken.

Die erste Enttäuschung, die die Neuordnung
mit sich brachte, war, daß die höhere Mädchenschule
trotz ihrer zehn Jahre hinter der Realschule der
Knaben mit ihren neun Jahren zurückblieb, weil
in letzter Stunde eine Einschränkung der mathe-
matisch-naturwissenschaftlichen Fächer vorge-
nommen wurde, und sie dadurch im Gegensatze zur
Knabenrealschule zu einer Schule ohne Ziele und
Berechtigungen wurde. Eine weitere unangenehme
Überraschung war die Frauenschule, die den Ab-
solventinnen der höheren Mädchenschule, die keine
Berufsausbildung erwählen, in einem zweijährigen
Kursus auf den Hausfrauen- und Mutterberuf
vorbereiten sollte. Daß diese Frauenschule sowohl
wegen ihres kunterbunten Programms ein Un-
ding ist, wie auch wegen der Unmöglichkeit, die
ganze heranwachsende Frauengeneration in eine
Hälfte zu scheiden, die dereinst in die Ehe und in

Mädchenschulwesens zu veranlassen, dem dann
Sachsen, Hessen und Bayern in kurzen Abständen
folgten.

Es war ein großer Gewinn, daß dadurch der
ästhetischen und Gefühlsbildung endlich Valet ge-
sagt, und die Verstandesbildung in Angriff ge-
nommen wurde, ein großer Schritt war damit vor-
wärts getan, aber nur ein Schritt, an eine voll-
ständige, befriedigende Lösung der höheren Frauen-
bildungsfrage war noch lange nicht zu denken.

Die erste Enttäuschung, die die Neuordnung
mit sich brachte, war, daß die höhere Mädchenschule
trotz ihrer zehn Jahre hinter der Realschule der
Knaben mit ihren neun Jahren zurückblieb, weil
in letzter Stunde eine Einschränkung der mathe-
matisch-naturwissenschaftlichen Fächer vorge-
nommen wurde, und sie dadurch im Gegensatze zur
Knabenrealschule zu einer Schule ohne Ziele und
Berechtigungen wurde. Eine weitere unangenehme
Überraschung war die Frauenschule, die den Ab-
solventinnen der höheren Mädchenschule, die keine
Berufsausbildung erwählen, in einem zweijährigen
Kursus auf den Hausfrauen- und Mutterberuf
vorbereiten sollte. Daß diese Frauenschule sowohl
wegen ihres kunterbunten Programms ein Un-
ding ist, wie auch wegen der Unmöglichkeit, die
ganze heranwachsende Frauengeneration in eine
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[123/0127] Mädchenschulwesens zu veranlassen, dem dann Sachsen, Hessen und Bayern in kurzen Abständen folgten. Es war ein großer Gewinn, daß dadurch der ästhetischen und Gefühlsbildung endlich Valet ge- sagt, und die Verstandesbildung in Angriff ge- nommen wurde, ein großer Schritt war damit vor- wärts getan, aber nur ein Schritt, an eine voll- ständige, befriedigende Lösung der höheren Frauen- bildungsfrage war noch lange nicht zu denken. Die erste Enttäuschung, die die Neuordnung mit sich brachte, war, daß die höhere Mädchenschule trotz ihrer zehn Jahre hinter der Realschule der Knaben mit ihren neun Jahren zurückblieb, weil in letzter Stunde eine Einschränkung der mathe- matisch-naturwissenschaftlichen Fächer vorge- nommen wurde, und sie dadurch im Gegensatze zur Knabenrealschule zu einer Schule ohne Ziele und Berechtigungen wurde. Eine weitere unangenehme Überraschung war die Frauenschule, die den Ab- solventinnen der höheren Mädchenschule, die keine Berufsausbildung erwählen, in einem zweijährigen Kursus auf den Hausfrauen- und Mutterberuf vorbereiten sollte. Daß diese Frauenschule sowohl wegen ihres kunterbunten Programms ein Un- ding ist, wie auch wegen der Unmöglichkeit, die ganze heranwachsende Frauengeneration in eine Hälfte zu scheiden, die dereinst in die Ehe und in

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/127>, abgerufen am 28.04.2024.