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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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aufs innigste zu wünschen war, die volle und glück-
liche Verschmelzung von Altruismus mit dem zum
Leben nicht minder unentbehrlichen Egoismus.
War das Wohltun, die Liebestätigkeit seit den
frühesten Zeiten der Frauen Teil, dem sie zunächst
in ihrem eigenen Reiche, dem Heim, oblagen, so
nahmen sie doch auch an der kirchlichen Armen-
pflege, die so alt ist wie das Christentum selbst,
teil, und nicht minder an der Vereinsarmenpflege,
deren erstes organisiertes Zusammenwirken eine
Folge der Völkerschlacht bei Leipzig war. Erst als
im 19. Jahrhundert infolge der durch die wirt-
schaftlichen Umwälzungen entstandenen ungeheuren
Armut der Staat die Notwendigkeit einsah, die
Armenpflege gesetzlich zu regeln, weil die freie
Liebestätigkeit sich als ungenügend erwies, da
wurde vergessen, die Frauen hierzu heranzuziehen.
Aber dieses Versehen machte sich sehr schnell bemerk-
bar, denn der Zweck der Armengesetzgebung, daß
niemand in den Kulturstaaten am unentbehrlichen
Lebensunterhalt Mangel leide, wurde bisher nicht
erreicht. Die Absicht der Armengesetzgebung ist,
"jedem Hilfsbedürftigen, der zeitweise oder dauernd
außerstande ist, für sich selbst einzutreten und zu
sorgen, und der keine unterstützungspflichtigen
Verwandten hat, ein Obdach, den unentbehrlichen
Lebensunterhalt und im Todesfalle ein Begräbnis
zu sichern, wofür die Kosten und die Ausführung

aufs innigste zu wünschen war, die volle und glück-
liche Verschmelzung von Altruismus mit dem zum
Leben nicht minder unentbehrlichen Egoismus.
War das Wohltun, die Liebestätigkeit seit den
frühesten Zeiten der Frauen Teil, dem sie zunächst
in ihrem eigenen Reiche, dem Heim, oblagen, so
nahmen sie doch auch an der kirchlichen Armen-
pflege, die so alt ist wie das Christentum selbst,
teil, und nicht minder an der Vereinsarmenpflege,
deren erstes organisiertes Zusammenwirken eine
Folge der Völkerschlacht bei Leipzig war. Erst als
im 19. Jahrhundert infolge der durch die wirt-
schaftlichen Umwälzungen entstandenen ungeheuren
Armut der Staat die Notwendigkeit einsah, die
Armenpflege gesetzlich zu regeln, weil die freie
Liebestätigkeit sich als ungenügend erwies, da
wurde vergessen, die Frauen hierzu heranzuziehen.
Aber dieses Versehen machte sich sehr schnell bemerk-
bar, denn der Zweck der Armengesetzgebung, daß
niemand in den Kulturstaaten am unentbehrlichen
Lebensunterhalt Mangel leide, wurde bisher nicht
erreicht. Die Absicht der Armengesetzgebung ist,
„jedem Hilfsbedürftigen, der zeitweise oder dauernd
außerstande ist, für sich selbst einzutreten und zu
sorgen, und der keine unterstützungspflichtigen
Verwandten hat, ein Obdach, den unentbehrlichen
Lebensunterhalt und im Todesfalle ein Begräbnis
zu sichern, wofür die Kosten und die Ausführung

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[235/0239] aufs innigste zu wünschen war, die volle und glück- liche Verschmelzung von Altruismus mit dem zum Leben nicht minder unentbehrlichen Egoismus. War das Wohltun, die Liebestätigkeit seit den frühesten Zeiten der Frauen Teil, dem sie zunächst in ihrem eigenen Reiche, dem Heim, oblagen, so nahmen sie doch auch an der kirchlichen Armen- pflege, die so alt ist wie das Christentum selbst, teil, und nicht minder an der Vereinsarmenpflege, deren erstes organisiertes Zusammenwirken eine Folge der Völkerschlacht bei Leipzig war. Erst als im 19. Jahrhundert infolge der durch die wirt- schaftlichen Umwälzungen entstandenen ungeheuren Armut der Staat die Notwendigkeit einsah, die Armenpflege gesetzlich zu regeln, weil die freie Liebestätigkeit sich als ungenügend erwies, da wurde vergessen, die Frauen hierzu heranzuziehen. Aber dieses Versehen machte sich sehr schnell bemerk- bar, denn der Zweck der Armengesetzgebung, daß niemand in den Kulturstaaten am unentbehrlichen Lebensunterhalt Mangel leide, wurde bisher nicht erreicht. Die Absicht der Armengesetzgebung ist, „jedem Hilfsbedürftigen, der zeitweise oder dauernd außerstande ist, für sich selbst einzutreten und zu sorgen, und der keine unterstützungspflichtigen Verwandten hat, ein Obdach, den unentbehrlichen Lebensunterhalt und im Todesfalle ein Begräbnis zu sichern, wofür die Kosten und die Ausführung

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/239>, abgerufen am 28.04.2024.