weise im Allgemeinen zusagten, so beschloß sie, an denselben Theil zu nehmen, wobei sie indeß den Besuch der evangeli¬ schen Kirchen nicht versäumte.
Ihre gelegentliche Erwähnung, daß früher eine innere Stimme ihr zugerufen habe, sie sei eine Jüdin, und müsse getauft werden, gab dem Vorsteher der Secte Veranlassung, in einem Vortrage auf die Nothwendigkeit der Wiedertaufe hinzudeuten, wogegen sie aber eifrig opponirte, und zugleich bemerkte, damals würde sie sich wohl dazu entschlossen haben, jetzt aber nicht mehr; und in ihrem Innern sagte sie sich, daß die Wiedertäufer keinen Anspruch darauf hätten, sich für fröm¬ mer, als die anderen Christen zu halten. Man vermied es sorgfältig, sie durch Widerspruch zu erbittern, und als sie in ihre Wohnung zurückkehren wollte, gesellte sich ihr ein Mit¬ glied der Gemeinde als Begleiter zu, welcher ihr unterweges sagte, die evangelischen Christen seien in Bezug auf die Taufe insgesammt Betrüger und Betrogene, indem er zugleich aus der an Christus im Jordan vollzogenen Taufe die Nothwen¬ digkeit ihrer Wiederholung zu beweisen sich bemühte. Die W. erwiederte hierauf zwar: was nutzt dies Alles, wenn Christus nicht im Herzen wohnt; indeß wurde ihr dabei unheimlich, und sie fühlte sich so aufgeregt, daß sie im Bette ein Kni¬ stern und Klappern hörte und die peinliche Stimmung für die Folge einer von den Wiedertäufern ausgeübten Einwirkung auf sie hielt. Doch fühlte sie noch einen lebhaften Muth des Widerstandes, und ungewiß, welchen Vorsatz sie fassen solle, und Gott um seinen Beistand anflehend, wollte sie ihren Ent¬ schluß von einer Fügung des Himmels abhängig machen, in¬ dem sie sich vornahm, die Lehrstunden der Anabaptisten nur dann wieder zu besuchen, wenn sie nicht durch die Aufforde¬ rung zu irgend einer bestimmten Arbeit davon zurückgehalten würde.
Da ein solches Hinderniß nicht eintrat, so begab sie sich wieder in die nächste Lehrstunde, in welcher unstreitig mit besonderer Beziehung auf sie alle Stellen des Neuen Testa¬ ments vorgelesen wurden, in welchen der an mehreren Perso¬ nen vollzogenen Taufe Erwähnung geschieht. Sie empfand dabei ein wahres Grauen, wie wenn sie sich am Rande eines
weiſe im Allgemeinen zuſagten, ſo beſchloß ſie, an denſelben Theil zu nehmen, wobei ſie indeß den Beſuch der evangeli¬ ſchen Kirchen nicht verſaͤumte.
Ihre gelegentliche Erwaͤhnung, daß fruͤher eine innere Stimme ihr zugerufen habe, ſie ſei eine Juͤdin, und muͤſſe getauft werden, gab dem Vorſteher der Secte Veranlaſſung, in einem Vortrage auf die Nothwendigkeit der Wiedertaufe hinzudeuten, wogegen ſie aber eifrig opponirte, und zugleich bemerkte, damals wuͤrde ſie ſich wohl dazu entſchloſſen haben, jetzt aber nicht mehr; und in ihrem Innern ſagte ſie ſich, daß die Wiedertaͤufer keinen Anſpruch darauf haͤtten, ſich fuͤr froͤm¬ mer, als die anderen Chriſten zu halten. Man vermied es ſorgfaͤltig, ſie durch Widerſpruch zu erbittern, und als ſie in ihre Wohnung zuruͤckkehren wollte, geſellte ſich ihr ein Mit¬ glied der Gemeinde als Begleiter zu, welcher ihr unterweges ſagte, die evangeliſchen Chriſten ſeien in Bezug auf die Taufe insgeſammt Betruͤger und Betrogene, indem er zugleich aus der an Chriſtus im Jordan vollzogenen Taufe die Nothwen¬ digkeit ihrer Wiederholung zu beweiſen ſich bemuͤhte. Die W. erwiederte hierauf zwar: was nutzt dies Alles, wenn Chriſtus nicht im Herzen wohnt; indeß wurde ihr dabei unheimlich, und ſie fuͤhlte ſich ſo aufgeregt, daß ſie im Bette ein Kni¬ ſtern und Klappern hoͤrte und die peinliche Stimmung fuͤr die Folge einer von den Wiedertaͤufern ausgeuͤbten Einwirkung auf ſie hielt. Doch fuͤhlte ſie noch einen lebhaften Muth des Widerſtandes, und ungewiß, welchen Vorſatz ſie faſſen ſolle, und Gott um ſeinen Beiſtand anflehend, wollte ſie ihren Ent¬ ſchluß von einer Fuͤgung des Himmels abhaͤngig machen, in¬ dem ſie ſich vornahm, die Lehrſtunden der Anabaptiſten nur dann wieder zu beſuchen, wenn ſie nicht durch die Aufforde¬ rung zu irgend einer beſtimmten Arbeit davon zuruͤckgehalten wuͤrde.
Da ein ſolches Hinderniß nicht eintrat, ſo begab ſie ſich wieder in die naͤchſte Lehrſtunde, in welcher unſtreitig mit beſonderer Beziehung auf ſie alle Stellen des Neuen Teſta¬ ments vorgeleſen wurden, in welchen der an mehreren Perſo¬ nen vollzogenen Taufe Erwaͤhnung geſchieht. Sie empfand dabei ein wahres Grauen, wie wenn ſie ſich am Rande eines
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[62/0070]
weiſe im Allgemeinen zuſagten, ſo beſchloß ſie, an denſelben
Theil zu nehmen, wobei ſie indeß den Beſuch der evangeli¬
ſchen Kirchen nicht verſaͤumte.
Ihre gelegentliche Erwaͤhnung, daß fruͤher eine innere
Stimme ihr zugerufen habe, ſie ſei eine Juͤdin, und muͤſſe
getauft werden, gab dem Vorſteher der Secte Veranlaſſung,
in einem Vortrage auf die Nothwendigkeit der Wiedertaufe
hinzudeuten, wogegen ſie aber eifrig opponirte, und zugleich
bemerkte, damals wuͤrde ſie ſich wohl dazu entſchloſſen haben,
jetzt aber nicht mehr; und in ihrem Innern ſagte ſie ſich, daß
die Wiedertaͤufer keinen Anſpruch darauf haͤtten, ſich fuͤr froͤm¬
mer, als die anderen Chriſten zu halten. Man vermied es
ſorgfaͤltig, ſie durch Widerſpruch zu erbittern, und als ſie in
ihre Wohnung zuruͤckkehren wollte, geſellte ſich ihr ein Mit¬
glied der Gemeinde als Begleiter zu, welcher ihr unterweges
ſagte, die evangeliſchen Chriſten ſeien in Bezug auf die Taufe
insgeſammt Betruͤger und Betrogene, indem er zugleich aus
der an Chriſtus im Jordan vollzogenen Taufe die Nothwen¬
digkeit ihrer Wiederholung zu beweiſen ſich bemuͤhte. Die W.
erwiederte hierauf zwar: was nutzt dies Alles, wenn Chriſtus
nicht im Herzen wohnt; indeß wurde ihr dabei unheimlich,
und ſie fuͤhlte ſich ſo aufgeregt, daß ſie im Bette ein Kni¬
ſtern und Klappern hoͤrte und die peinliche Stimmung fuͤr
die Folge einer von den Wiedertaͤufern ausgeuͤbten Einwirkung
auf ſie hielt. Doch fuͤhlte ſie noch einen lebhaften Muth des
Widerſtandes, und ungewiß, welchen Vorſatz ſie faſſen ſolle,
und Gott um ſeinen Beiſtand anflehend, wollte ſie ihren Ent¬
ſchluß von einer Fuͤgung des Himmels abhaͤngig machen, in¬
dem ſie ſich vornahm, die Lehrſtunden der Anabaptiſten nur
dann wieder zu beſuchen, wenn ſie nicht durch die Aufforde¬
rung zu irgend einer beſtimmten Arbeit davon zuruͤckgehalten
wuͤrde.
Da ein ſolches Hinderniß nicht eintrat, ſo begab ſie
ſich wieder in die naͤchſte Lehrſtunde, in welcher unſtreitig mit
beſonderer Beziehung auf ſie alle Stellen des Neuen Teſta¬
ments vorgeleſen wurden, in welchen der an mehreren Perſo¬
nen vollzogenen Taufe Erwaͤhnung geſchieht. Sie empfand
dabei ein wahres Grauen, wie wenn ſie ſich am Rande eines
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/70>, abgerufen am 17.06.2024.
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