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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Verhandelt im *er Gerichte zu * den *ten * 18**

Die gestern verhaftete Eugenia Sidonia, angeblickt Gräfin ** cka, hatte dem Gerichte von freien Stücken anzeigen lassen, daß sie mit ihren Aussagen heute fortzufahren wünsche. Man ließ sie vortreten. Sie gab Nachstehendes zu Protokoll, welches auf ausdrückliches Verlangen, so weit es möglich, mit ihren eigenen Worten niedergeschrieben worden ist.

Ich betheure vor Gott und vor den Menschen -- so begann die Comparentin -- daß ich von den Verbrechen meines Begleiters, welche mir gestern vorgehalten worden sind, erst lange nach ihrer Verübung Kunde erhalten und auf keine Weise an ihnen Theil genommen habe. Durch den Schein glänzender Eigenschaften hat er mich getäuscht, durch meineidige Schwüre verleitet, durch unergründliche Heuchelei aus dem Hause meiner Eltern gelockt. In der Welt allein, verlassen, verworfen, sah ich die Larve ihm vom Antlitz fallen, meine einzige Stütze war ein Glücksritter, ein Bösewicht, ich meinte zu verzweifeln und wünschte mir den Tod, der mich von seiner schrecklichen Gesellschaft erlösen sollte. Er schleppte mich durch die Länder und Städte, mein Unglück hatte ihm eine Gewalt über mich gegeben, der ich nicht zu widerstehen vermochte.

Sie wurde aufgefordert, sich näher über ihre frühern Lebensverhältnisse zu äußern, erklärte jedoch, daß sie sich dazu nicht verbunden achte, daß sie sehr unglücklich sei,

Verhandelt im *er Gerichte zu * den *ten * 18**

Die gestern verhaftete Eugenia Sidonia, angeblickt Gräfin ** cka, hatte dem Gerichte von freien Stücken anzeigen lassen, daß sie mit ihren Aussagen heute fortzufahren wünsche. Man ließ sie vortreten. Sie gab Nachstehendes zu Protokoll, welches auf ausdrückliches Verlangen, so weit es möglich, mit ihren eigenen Worten niedergeschrieben worden ist.

Ich betheure vor Gott und vor den Menschen — so begann die Comparentin — daß ich von den Verbrechen meines Begleiters, welche mir gestern vorgehalten worden sind, erst lange nach ihrer Verübung Kunde erhalten und auf keine Weise an ihnen Theil genommen habe. Durch den Schein glänzender Eigenschaften hat er mich getäuscht, durch meineidige Schwüre verleitet, durch unergründliche Heuchelei aus dem Hause meiner Eltern gelockt. In der Welt allein, verlassen, verworfen, sah ich die Larve ihm vom Antlitz fallen, meine einzige Stütze war ein Glücksritter, ein Bösewicht, ich meinte zu verzweifeln und wünschte mir den Tod, der mich von seiner schrecklichen Gesellschaft erlösen sollte. Er schleppte mich durch die Länder und Städte, mein Unglück hatte ihm eine Gewalt über mich gegeben, der ich nicht zu widerstehen vermochte.

Sie wurde aufgefordert, sich näher über ihre frühern Lebensverhältnisse zu äußern, erklärte jedoch, daß sie sich dazu nicht verbunden achte, daß sie sehr unglücklich sei,

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[0100] Verhandelt im *er Gerichte zu * den *ten * 18** Die gestern verhaftete Eugenia Sidonia, angeblickt Gräfin ** cka, hatte dem Gerichte von freien Stücken anzeigen lassen, daß sie mit ihren Aussagen heute fortzufahren wünsche. Man ließ sie vortreten. Sie gab Nachstehendes zu Protokoll, welches auf ausdrückliches Verlangen, so weit es möglich, mit ihren eigenen Worten niedergeschrieben worden ist. Ich betheure vor Gott und vor den Menschen — so begann die Comparentin — daß ich von den Verbrechen meines Begleiters, welche mir gestern vorgehalten worden sind, erst lange nach ihrer Verübung Kunde erhalten und auf keine Weise an ihnen Theil genommen habe. Durch den Schein glänzender Eigenschaften hat er mich getäuscht, durch meineidige Schwüre verleitet, durch unergründliche Heuchelei aus dem Hause meiner Eltern gelockt. In der Welt allein, verlassen, verworfen, sah ich die Larve ihm vom Antlitz fallen, meine einzige Stütze war ein Glücksritter, ein Bösewicht, ich meinte zu verzweifeln und wünschte mir den Tod, der mich von seiner schrecklichen Gesellschaft erlösen sollte. Er schleppte mich durch die Länder und Städte, mein Unglück hatte ihm eine Gewalt über mich gegeben, der ich nicht zu widerstehen vermochte. Sie wurde aufgefordert, sich näher über ihre frühern Lebensverhältnisse zu äußern, erklärte jedoch, daß sie sich dazu nicht verbunden achte, daß sie sehr unglücklich sei,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/100>, abgerufen am 01.05.2024.