Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

mir, daß man über die Anwendbarkeit der Metalle sich noch sehr im Dunklen befinde, die Erfahrungen kreuzten und widersprächen sich; zuweilen hätten diese Stoffe sehr heilsam gewirkt, in anderen Fällen wären schon durch die geringfügigsten Dinge, z. B. durch ein Stückchen Draht oder durch einen Kupferdreier, tödtliche Krämpfe hervorgebracht worden. Nun müssen wir eine Hauptprobe machen, fuhr er fort. Ich werde Sie mit Sidonien allein lassen. Mein Einfluß höre ganz auf! Ich werde aus dem Zimmer gehn und meine Gedanken von Ihnen, von der Kranken ab, auf ganz andre Dinge wenden. Nach den bisherigen Beobachtungen könnten Sie, könnten Hunderte unter diesen Umständen zugegen sein, unsere Hellseherin würde nichts davon merken. Von gestern und heute aber scheint eine neue Epoche in der Geschichte des Magnetismus anzubrechen. Es ist, als gäbe es Rapports, unabhängig von aller Manipulation, ich möchte sie Urrapports nennen. Wir wollen das Factum mit Ruhe und Aufmerksamkeit festzustellen suchen. Setzen Sie sich zu ihr, sprechen Sie mit ihr; antwortet sie Ihnen, so können wir einen Theil unseres Systems zu den Fabeln schicken. Er drückte beide Daumen einige Secunden lang auf die Herzgrube der Schläferin, dies nannte er Calmiren; ich hörte ihn wieder ihr etwas zuflüstern, was ich nicht verstehen konnte, ich mußte mir einen Sessel neben ihren Fauteuil stellen. Als ich bei der Kranken saß, empfahl er mir dringend die höchste Aufmerksamkeit und Ruhe, und ich war mit Sidonien allein.

mir, daß man über die Anwendbarkeit der Metalle sich noch sehr im Dunklen befinde, die Erfahrungen kreuzten und widersprächen sich; zuweilen hätten diese Stoffe sehr heilsam gewirkt, in anderen Fällen wären schon durch die geringfügigsten Dinge, z. B. durch ein Stückchen Draht oder durch einen Kupferdreier, tödtliche Krämpfe hervorgebracht worden. Nun müssen wir eine Hauptprobe machen, fuhr er fort. Ich werde Sie mit Sidonien allein lassen. Mein Einfluß höre ganz auf! Ich werde aus dem Zimmer gehn und meine Gedanken von Ihnen, von der Kranken ab, auf ganz andre Dinge wenden. Nach den bisherigen Beobachtungen könnten Sie, könnten Hunderte unter diesen Umständen zugegen sein, unsere Hellseherin würde nichts davon merken. Von gestern und heute aber scheint eine neue Epoche in der Geschichte des Magnetismus anzubrechen. Es ist, als gäbe es Rapports, unabhängig von aller Manipulation, ich möchte sie Urrapports nennen. Wir wollen das Factum mit Ruhe und Aufmerksamkeit festzustellen suchen. Setzen Sie sich zu ihr, sprechen Sie mit ihr; antwortet sie Ihnen, so können wir einen Theil unseres Systems zu den Fabeln schicken. Er drückte beide Daumen einige Secunden lang auf die Herzgrube der Schläferin, dies nannte er Calmiren; ich hörte ihn wieder ihr etwas zuflüstern, was ich nicht verstehen konnte, ich mußte mir einen Sessel neben ihren Fauteuil stellen. Als ich bei der Kranken saß, empfahl er mir dringend die höchste Aufmerksamkeit und Ruhe, und ich war mit Sidonien allein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="5">
        <p><pb facs="#f0035"/>
mir, daß man über die Anwendbarkeit der Metalle sich noch sehr im Dunklen      befinde, die Erfahrungen kreuzten und widersprächen sich; zuweilen hätten diese Stoffe sehr      heilsam gewirkt, in anderen Fällen wären schon durch die geringfügigsten Dinge, z. B. durch ein      Stückchen Draht oder durch einen Kupferdreier, tödtliche Krämpfe hervorgebracht worden. Nun      müssen wir eine Hauptprobe machen, fuhr er fort. Ich werde Sie mit Sidonien allein lassen. Mein      Einfluß höre ganz auf! Ich werde aus dem Zimmer gehn und meine Gedanken von Ihnen, von der      Kranken ab, auf ganz andre Dinge wenden. Nach den bisherigen Beobachtungen könnten Sie, könnten      Hunderte unter diesen Umständen zugegen sein, unsere Hellseherin würde nichts davon merken. Von      gestern und heute aber scheint eine neue Epoche in der Geschichte des Magnetismus anzubrechen.      Es ist, als gäbe es Rapports, unabhängig von aller Manipulation, ich möchte sie Urrapports      nennen. Wir wollen das Factum mit Ruhe und Aufmerksamkeit festzustellen suchen. Setzen Sie sich      zu ihr, sprechen Sie mit ihr; antwortet sie Ihnen, so können wir einen Theil unseres Systems zu      den Fabeln schicken. Er drückte beide Daumen einige Secunden lang auf die Herzgrube der      Schläferin, dies nannte er Calmiren; ich hörte ihn wieder ihr etwas zuflüstern, was ich nicht      verstehen konnte, ich mußte mir einen Sessel neben ihren Fauteuil stellen. Als ich bei der      Kranken saß, empfahl er mir dringend die höchste Aufmerksamkeit und Ruhe, und ich war mit      Sidonien allein. </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] mir, daß man über die Anwendbarkeit der Metalle sich noch sehr im Dunklen befinde, die Erfahrungen kreuzten und widersprächen sich; zuweilen hätten diese Stoffe sehr heilsam gewirkt, in anderen Fällen wären schon durch die geringfügigsten Dinge, z. B. durch ein Stückchen Draht oder durch einen Kupferdreier, tödtliche Krämpfe hervorgebracht worden. Nun müssen wir eine Hauptprobe machen, fuhr er fort. Ich werde Sie mit Sidonien allein lassen. Mein Einfluß höre ganz auf! Ich werde aus dem Zimmer gehn und meine Gedanken von Ihnen, von der Kranken ab, auf ganz andre Dinge wenden. Nach den bisherigen Beobachtungen könnten Sie, könnten Hunderte unter diesen Umständen zugegen sein, unsere Hellseherin würde nichts davon merken. Von gestern und heute aber scheint eine neue Epoche in der Geschichte des Magnetismus anzubrechen. Es ist, als gäbe es Rapports, unabhängig von aller Manipulation, ich möchte sie Urrapports nennen. Wir wollen das Factum mit Ruhe und Aufmerksamkeit festzustellen suchen. Setzen Sie sich zu ihr, sprechen Sie mit ihr; antwortet sie Ihnen, so können wir einen Theil unseres Systems zu den Fabeln schicken. Er drückte beide Daumen einige Secunden lang auf die Herzgrube der Schläferin, dies nannte er Calmiren; ich hörte ihn wieder ihr etwas zuflüstern, was ich nicht verstehen konnte, ich mußte mir einen Sessel neben ihren Fauteuil stellen. Als ich bei der Kranken saß, empfahl er mir dringend die höchste Aufmerksamkeit und Ruhe, und ich war mit Sidonien allein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/35
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/35>, abgerufen am 26.04.2024.