Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Darauf gab er sich wieder an die Kehlkopf-Gau-
mendrückung. Gott behüte! riefen die Bauern,
und gingen nach Hause, der Schulmeister ist über-
geschnappt, er quiekt schon wie ein Ferkel.

Und wirklich stand der arme Schulmeister nahe
an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits
gesprungen glaubten. Die Frist war abgelaufen,
welche man ihm zum Selbstunterrichte gesetzt hatte,
er sollte jetzt nach dem Buche lesen lernen lassen,
eine Visitation seiner Schule durch den Herrn
Schulrath Thomasius nahte heran, die Verzweif-
lung trat ihm zum Herzen, und seine Gedanken
begannen zu schwärmen. Andre sind durch das
Brüten über der unbefleckten Empfängniß der Jung-
frau Maria, oder über dem Geheimnisse der Trinität,
oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt ge-
worden; warum sollte ein Dorfschulmeisterlein nicht
durch eine moderne Sprachlehre den Verstand ver-
lieren können? Genug, ich erzähle es, und wer
mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackel-
pfiffelsberg nach. Da hat sich die Geschichte zuge-
tragen, und jedes Kind weiß dort davon.

Ein reisender Student kam in jenen Tagen
durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke

Darauf gab er ſich wieder an die Kehlkopf-Gau-
mendrückung. Gott behüte! riefen die Bauern,
und gingen nach Hauſe, der Schulmeiſter iſt über-
geſchnappt, er quiekt ſchon wie ein Ferkel.

Und wirklich ſtand der arme Schulmeiſter nahe
an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits
geſprungen glaubten. Die Friſt war abgelaufen,
welche man ihm zum Selbſtunterrichte geſetzt hatte,
er ſollte jetzt nach dem Buche leſen lernen laſſen,
eine Viſitation ſeiner Schule durch den Herrn
Schulrath Thomaſius nahte heran, die Verzweif-
lung trat ihm zum Herzen, und ſeine Gedanken
begannen zu ſchwärmen. Andre ſind durch das
Brüten über der unbefleckten Empfängniß der Jung-
frau Maria, oder über dem Geheimniſſe der Trinität,
oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt ge-
worden; warum ſollte ein Dorfſchulmeiſterlein nicht
durch eine moderne Sprachlehre den Verſtand ver-
lieren können? Genug, ich erzähle es, und wer
mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackel-
pfiffelsberg nach. Da hat ſich die Geſchichte zuge-
tragen, und jedes Kind weiß dort davon.

Ein reiſender Student kam in jenen Tagen
durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="150"/>
Darauf gab er &#x017F;ich wieder an die Kehlkopf-Gau-<lb/>
mendrückung. Gott behüte! riefen die Bauern,<lb/>
und gingen nach Hau&#x017F;e, der Schulmei&#x017F;ter i&#x017F;t über-<lb/>
ge&#x017F;chnappt, er quiekt &#x017F;chon wie ein Ferkel.</p><lb/>
          <p>Und wirklich &#x017F;tand der arme Schulmei&#x017F;ter nahe<lb/>
an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits<lb/>
ge&#x017F;prungen glaubten. Die Fri&#x017F;t war abgelaufen,<lb/>
welche man ihm zum Selb&#x017F;tunterrichte ge&#x017F;etzt hatte,<lb/>
er &#x017F;ollte jetzt nach dem Buche le&#x017F;en lernen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
eine Vi&#x017F;itation &#x017F;einer Schule durch den Herrn<lb/>
Schulrath Thoma&#x017F;ius nahte heran, die Verzweif-<lb/>
lung trat ihm zum Herzen, und &#x017F;eine Gedanken<lb/>
begannen zu &#x017F;chwärmen. Andre &#x017F;ind durch das<lb/>
Brüten über der unbefleckten Empfängniß der Jung-<lb/>
frau Maria, oder über dem Geheimni&#x017F;&#x017F;e der Trinität,<lb/>
oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt ge-<lb/>
worden; warum &#x017F;ollte ein Dorf&#x017F;chulmei&#x017F;terlein nicht<lb/>
durch eine moderne Sprachlehre den Ver&#x017F;tand ver-<lb/>
lieren können? Genug, ich erzähle es, und wer<lb/>
mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackel-<lb/>
pfiffelsberg nach. Da hat &#x017F;ich die Ge&#x017F;chichte zuge-<lb/>
tragen, und jedes Kind weiß dort davon.</p><lb/>
          <p>Ein rei&#x017F;ender Student kam in jenen Tagen<lb/>
durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0158] Darauf gab er ſich wieder an die Kehlkopf-Gau- mendrückung. Gott behüte! riefen die Bauern, und gingen nach Hauſe, der Schulmeiſter iſt über- geſchnappt, er quiekt ſchon wie ein Ferkel. Und wirklich ſtand der arme Schulmeiſter nahe an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits geſprungen glaubten. Die Friſt war abgelaufen, welche man ihm zum Selbſtunterrichte geſetzt hatte, er ſollte jetzt nach dem Buche leſen lernen laſſen, eine Viſitation ſeiner Schule durch den Herrn Schulrath Thomaſius nahte heran, die Verzweif- lung trat ihm zum Herzen, und ſeine Gedanken begannen zu ſchwärmen. Andre ſind durch das Brüten über der unbefleckten Empfängniß der Jung- frau Maria, oder über dem Geheimniſſe der Trinität, oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt ge- worden; warum ſollte ein Dorfſchulmeiſterlein nicht durch eine moderne Sprachlehre den Verſtand ver- lieren können? Genug, ich erzähle es, und wer mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackel- pfiffelsberg nach. Da hat ſich die Geſchichte zuge- tragen, und jedes Kind weiß dort davon. Ein reiſender Student kam in jenen Tagen durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/158
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/158>, abgerufen am 03.05.2024.