Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

das Erdgeborne, Erdzähe und Dauerbare des hie-
sigen Geschlechtes. Mein Hofschulze mag ein Mann
von etlichen sechszig Jahren seyn, doch trägt er
den starken großen knochichten Körper noch ganz
ungebeugt. In dem rothgelben Gesichte ist der
Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht
hat, abgelagert, die große Nase steht wie ein Thurm
in diesem Gesichte, und über den blitzenden blauen
Augen hangen ihm weiße struppige Brauen, wie
ein Strohdach. Er gemahnt mich, wie ein Erz-
vater, der dem Gotte seiner Väter von unbehaue-
nen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer
darauf gießt und Oel, und seine Füllen erzieht,
sein Korn schneidet, und dabei über die Seinigen
unumschränkt herrscht und richtet. Nie ist mir eine
compactere Mischung von Ehrwürdigem und Ver-
schmitztem, von Vernunft und Eigensinn vorgekom-
men. Er ist ein rechter uralter freier Bauer im
ganzen Sinne des Worts; ich glaube, daß man
diese Art Menschen nur noch hier finden kann, wo
eben das zerstreute Wohnen und die altsassische
Hartnäckigkeit, nebst dem Mangel großer Städte
den primitiven Charakter Germania's aufrecht erhal-
ten hat. Alle Regierungen und Gewalten sind

das Erdgeborne, Erdzähe und Dauerbare des hie-
ſigen Geſchlechtes. Mein Hofſchulze mag ein Mann
von etlichen ſechszig Jahren ſeyn, doch trägt er
den ſtarken großen knochichten Körper noch ganz
ungebeugt. In dem rothgelben Geſichte iſt der
Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht
hat, abgelagert, die große Naſe ſteht wie ein Thurm
in dieſem Geſichte, und über den blitzenden blauen
Augen hangen ihm weiße ſtruppige Brauen, wie
ein Strohdach. Er gemahnt mich, wie ein Erz-
vater, der dem Gotte ſeiner Väter von unbehaue-
nen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer
darauf gießt und Oel, und ſeine Füllen erzieht,
ſein Korn ſchneidet, und dabei über die Seinigen
unumſchränkt herrſcht und richtet. Nie iſt mir eine
compactere Miſchung von Ehrwürdigem und Ver-
ſchmitztem, von Vernunft und Eigenſinn vorgekom-
men. Er iſt ein rechter uralter freier Bauer im
ganzen Sinne des Worts; ich glaube, daß man
dieſe Art Menſchen nur noch hier finden kann, wo
eben das zerſtreute Wohnen und die altſaſſiſche
Hartnäckigkeit, nebſt dem Mangel großer Städte
den primitiven Charakter Germania’s aufrecht erhal-
ten hat. Alle Regierungen und Gewalten ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="342"/>
das Erdgeborne, Erdzähe und Dauerbare des hie-<lb/>
&#x017F;igen Ge&#x017F;chlechtes. Mein Hof&#x017F;chulze mag ein Mann<lb/>
von etlichen &#x017F;echszig Jahren &#x017F;eyn, doch trägt er<lb/>
den &#x017F;tarken großen knochichten Körper noch ganz<lb/>
ungebeugt. In dem rothgelben Ge&#x017F;ichte i&#x017F;t der<lb/>
Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht<lb/>
hat, abgelagert, die große Na&#x017F;e &#x017F;teht wie ein Thurm<lb/>
in die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte, und über den blitzenden blauen<lb/>
Augen hangen ihm weiße &#x017F;truppige Brauen, wie<lb/>
ein Strohdach. Er gemahnt mich, wie ein Erz-<lb/>
vater, der dem Gotte &#x017F;einer Väter von unbehaue-<lb/>
nen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer<lb/>
darauf gießt und Oel, und &#x017F;eine Füllen erzieht,<lb/>
&#x017F;ein Korn &#x017F;chneidet, und dabei über die Seinigen<lb/>
unum&#x017F;chränkt herr&#x017F;cht und richtet. Nie i&#x017F;t mir eine<lb/>
compactere Mi&#x017F;chung von Ehrwürdigem und Ver-<lb/>
&#x017F;chmitztem, von Vernunft und Eigen&#x017F;inn vorgekom-<lb/>
men. Er i&#x017F;t ein rechter uralter freier Bauer im<lb/>
ganzen Sinne des Worts; ich glaube, daß man<lb/>
die&#x017F;e Art Men&#x017F;chen nur noch hier finden kann, wo<lb/>
eben das zer&#x017F;treute Wohnen und die alt&#x017F;a&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Hartnäckigkeit, neb&#x017F;t dem Mangel großer Städte<lb/>
den primitiven Charakter Germania&#x2019;s aufrecht erhal-<lb/>
ten hat. Alle Regierungen und Gewalten &#x017F;ind<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0350] das Erdgeborne, Erdzähe und Dauerbare des hie- ſigen Geſchlechtes. Mein Hofſchulze mag ein Mann von etlichen ſechszig Jahren ſeyn, doch trägt er den ſtarken großen knochichten Körper noch ganz ungebeugt. In dem rothgelben Geſichte iſt der Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht hat, abgelagert, die große Naſe ſteht wie ein Thurm in dieſem Geſichte, und über den blitzenden blauen Augen hangen ihm weiße ſtruppige Brauen, wie ein Strohdach. Er gemahnt mich, wie ein Erz- vater, der dem Gotte ſeiner Väter von unbehaue- nen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer darauf gießt und Oel, und ſeine Füllen erzieht, ſein Korn ſchneidet, und dabei über die Seinigen unumſchränkt herrſcht und richtet. Nie iſt mir eine compactere Miſchung von Ehrwürdigem und Ver- ſchmitztem, von Vernunft und Eigenſinn vorgekom- men. Er iſt ein rechter uralter freier Bauer im ganzen Sinne des Worts; ich glaube, daß man dieſe Art Menſchen nur noch hier finden kann, wo eben das zerſtreute Wohnen und die altſaſſiſche Hartnäckigkeit, nebſt dem Mangel großer Städte den primitiven Charakter Germania’s aufrecht erhal- ten hat. Alle Regierungen und Gewalten ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/350
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/350>, abgerufen am 21.05.2024.