Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

sechs Wachtcameraden sechs Geschichten vorplau-
dern lassen, und daß solchergestalt sich die historische
Perspective in das Unendliche verlängert? Herr
von Münchhausen wollten uns das Wort der
Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an drei-
hundert Menschen tödtete; statt dessen werden
wir auf die Cordilleras und von da nach Africa
gehetzt, und jetzt sind wir wieder in Hessencassel,
und wissen nicht, warum wir da sind. Herr von
Münchhausen, ich halte Sie für einen großen,
wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um
die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter
und schlichter. Sie wollen, wie ich vernehme,
unsrem Herrn Baron länger die Ehre Ihres
Besuchs schenken; es muß Ihnen daher selbst daran
liegen, uns nicht schon in den ersten Tagen außer
Fassung zu setzen und geistig zu vernichten.

Nach dieser Rede entstand eine bedeutende
Pause. Der Wirth sah verlegen, der Gast groß
vor sich hin, das Fräulein warf einen Blick des
Zorns auf den Schulmeister, einen Blick der begei-
stertsten Hingebung auf den Freiherrn. Der
Schulmeister stand athmend in einer Ecke, und
schien sehr angegriffen zu seyn.


ſechs Wachtcameraden ſechs Geſchichten vorplau-
dern laſſen, und daß ſolchergeſtalt ſich die hiſtoriſche
Perſpective in das Unendliche verlängert? Herr
von Münchhauſen wollten uns das Wort der
Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an drei-
hundert Menſchen tödtete; ſtatt deſſen werden
wir auf die Cordilleras und von da nach Africa
gehetzt, und jetzt ſind wir wieder in Heſſencaſſel,
und wiſſen nicht, warum wir da ſind. Herr von
Münchhauſen, ich halte Sie für einen großen,
wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um
die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter
und ſchlichter. Sie wollen, wie ich vernehme,
unſrem Herrn Baron länger die Ehre Ihres
Beſuchs ſchenken; es muß Ihnen daher ſelbſt daran
liegen, uns nicht ſchon in den erſten Tagen außer
Faſſung zu ſetzen und geiſtig zu vernichten.

Nach dieſer Rede entſtand eine bedeutende
Pauſe. Der Wirth ſah verlegen, der Gaſt groß
vor ſich hin, das Fräulein warf einen Blick des
Zorns auf den Schulmeiſter, einen Blick der begei-
ſtertſten Hingebung auf den Freiherrn. Der
Schulmeiſter ſtand athmend in einer Ecke, und
ſchien ſehr angegriffen zu ſeyn.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="37"/>
&#x017F;echs Wachtcameraden &#x017F;echs Ge&#x017F;chichten vorplau-<lb/>
dern la&#x017F;&#x017F;en, und daß &#x017F;olcherge&#x017F;talt &#x017F;ich die hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Per&#x017F;pective in das Unendliche verlängert? Herr<lb/>
von Münchhau&#x017F;en wollten uns das Wort der<lb/>
Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an drei-<lb/>
hundert Men&#x017F;chen tödtete; &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en werden<lb/>
wir auf die Cordilleras und von da nach Africa<lb/>
gehetzt, und jetzt &#x017F;ind wir wieder in He&#x017F;&#x017F;enca&#x017F;&#x017F;el,<lb/>
und wi&#x017F;&#x017F;en nicht, warum wir da &#x017F;ind. Herr von<lb/>
Münchhau&#x017F;en, ich halte Sie für einen großen,<lb/>
wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um<lb/>
die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter<lb/>
und &#x017F;chlichter. Sie wollen, wie ich vernehme,<lb/>
un&#x017F;rem Herrn Baron länger die Ehre Ihres<lb/>
Be&#x017F;uchs &#x017F;chenken; es muß Ihnen daher &#x017F;elb&#x017F;t daran<lb/>
liegen, uns nicht &#x017F;chon in den er&#x017F;ten Tagen außer<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung zu &#x017F;etzen und gei&#x017F;tig zu vernichten.</p><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;er Rede ent&#x017F;tand eine bedeutende<lb/>
Pau&#x017F;e. Der Wirth &#x017F;ah verlegen, der Ga&#x017F;t groß<lb/>
vor &#x017F;ich hin, das Fräulein warf einen Blick des<lb/>
Zorns auf den Schulmei&#x017F;ter, einen Blick der begei-<lb/>
&#x017F;tert&#x017F;ten Hingebung auf den Freiherrn. Der<lb/>
Schulmei&#x017F;ter &#x017F;tand athmend in einer Ecke, und<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ehr angegriffen zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0045] ſechs Wachtcameraden ſechs Geſchichten vorplau- dern laſſen, und daß ſolchergeſtalt ſich die hiſtoriſche Perſpective in das Unendliche verlängert? Herr von Münchhauſen wollten uns das Wort der Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an drei- hundert Menſchen tödtete; ſtatt deſſen werden wir auf die Cordilleras und von da nach Africa gehetzt, und jetzt ſind wir wieder in Heſſencaſſel, und wiſſen nicht, warum wir da ſind. Herr von Münchhauſen, ich halte Sie für einen großen, wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter und ſchlichter. Sie wollen, wie ich vernehme, unſrem Herrn Baron länger die Ehre Ihres Beſuchs ſchenken; es muß Ihnen daher ſelbſt daran liegen, uns nicht ſchon in den erſten Tagen außer Faſſung zu ſetzen und geiſtig zu vernichten. Nach dieſer Rede entſtand eine bedeutende Pauſe. Der Wirth ſah verlegen, der Gaſt groß vor ſich hin, das Fräulein warf einen Blick des Zorns auf den Schulmeiſter, einen Blick der begei- ſtertſten Hingebung auf den Freiherrn. Der Schulmeiſter ſtand athmend in einer Ecke, und ſchien ſehr angegriffen zu ſeyn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/45
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/45>, abgerufen am 27.04.2024.