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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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den Varus geschlagen? ein aufmerksames Ohr lieh.
-- Der Jäger sah manches ihm Neue und würde
von der ganzen Beschauung noch mehr Nutzen gehabt
haben, wenn ihm sein Führer Muße gelassen hätte,
die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein,
sobald er einige Secunden lang bei einem verweilt
hatte, riß ihn der Ungeduldige mit schreienden
Worten zu einem andern hin, in der Besorgniß,
daß irgend etwas übersehen bleiben möchte.

Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einsam
und nur seinen Seltenheiten hingegeben. Ein
großer, schwarzer Kater, welcher ihm treu anhing,
machte seine ganze Hausgenossenschaft aus. Dieser
ging denn auch heute, wie es seine Gewohnheit
war, ernsthaft durch die Zimmer hinter den beiden
menschlichen Beobachtern, wie ein dritter Alterthums-
freund einher.

Der Alte war eigentlich in Folge einer unglück-
lichen Liebe Sammler geworden. In seiner Jugend
hatte er einem schönen Mädchen sein Herz zuge-
wandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut
oder vielmehr Nichtobhut eines schwachen, nach-
lässigen Vormundes stand und bei ihrem Leichtsinn
zu unabhängig war, um verständig bleiben zu können.

den Varus geſchlagen? ein aufmerkſames Ohr lieh.
— Der Jäger ſah manches ihm Neue und würde
von der ganzen Beſchauung noch mehr Nutzen gehabt
haben, wenn ihm ſein Führer Muße gelaſſen hätte,
die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein,
ſobald er einige Secunden lang bei einem verweilt
hatte, riß ihn der Ungeduldige mit ſchreienden
Worten zu einem andern hin, in der Beſorgniß,
daß irgend etwas überſehen bleiben möchte.

Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einſam
und nur ſeinen Seltenheiten hingegeben. Ein
großer, ſchwarzer Kater, welcher ihm treu anhing,
machte ſeine ganze Hausgenoſſenſchaft aus. Dieſer
ging denn auch heute, wie es ſeine Gewohnheit
war, ernſthaft durch die Zimmer hinter den beiden
menſchlichen Beobachtern, wie ein dritter Alterthums-
freund einher.

Der Alte war eigentlich in Folge einer unglück-
lichen Liebe Sammler geworden. In ſeiner Jugend
hatte er einem ſchönen Mädchen ſein Herz zuge-
wandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut
oder vielmehr Nichtobhut eines ſchwachen, nach-
läſſigen Vormundes ſtand und bei ihrem Leichtſinn
zu unabhängig war, um verſtändig bleiben zu können.

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[442/0450] den Varus geſchlagen? ein aufmerkſames Ohr lieh. — Der Jäger ſah manches ihm Neue und würde von der ganzen Beſchauung noch mehr Nutzen gehabt haben, wenn ihm ſein Führer Muße gelaſſen hätte, die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein, ſobald er einige Secunden lang bei einem verweilt hatte, riß ihn der Ungeduldige mit ſchreienden Worten zu einem andern hin, in der Beſorgniß, daß irgend etwas überſehen bleiben möchte. Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einſam und nur ſeinen Seltenheiten hingegeben. Ein großer, ſchwarzer Kater, welcher ihm treu anhing, machte ſeine ganze Hausgenoſſenſchaft aus. Dieſer ging denn auch heute, wie es ſeine Gewohnheit war, ernſthaft durch die Zimmer hinter den beiden menſchlichen Beobachtern, wie ein dritter Alterthums- freund einher. Der Alte war eigentlich in Folge einer unglück- lichen Liebe Sammler geworden. In ſeiner Jugend hatte er einem ſchönen Mädchen ſein Herz zuge- wandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut oder vielmehr Nichtobhut eines ſchwachen, nach- läſſigen Vormundes ſtand und bei ihrem Leichtſinn zu unabhängig war, um verſtändig bleiben zu können.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/450>, abgerufen am 27.04.2024.