Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an-
ders, als früherhin, wo er über ihre steinernen
Bestandtheile noch nicht aufgeklärt gewesen war.
Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und
Schnüffeln ausprüfte, kam ihm so kalkicht und gyp-
sern vor; er wußte nicht, wo er früher seine Nase
gehabt hatte, solches nicht zu merken. Ein Bauer,
der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron
bei dem einen Wappenlöwen stehen sah, die Nase
spürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn
höflich und sagte: Es stinkt verflucht. -- Merkt
Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig.
-- Wer sollte das nicht merken? rief der Bauer;
sie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank
zieht im Winde weit umher.

Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom-
pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung
dieses armseligen Bauern und ging quer durch die
Dornen über Gras und Anger nach einem freien
Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik besonders
tauglich zu seyn schien, weil dort weit und breit
umher die frischeste Luft wehte. Er maß den
Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei-
ten ab, notirte die Raummaaße in seiner Brieftasche,

Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an-
ders, als früherhin, wo er über ihre ſteinernen
Beſtandtheile noch nicht aufgeklärt geweſen war.
Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und
Schnüffeln ausprüfte, kam ihm ſo kalkicht und gyp-
ſern vor; er wußte nicht, wo er früher ſeine Naſe
gehabt hatte, ſolches nicht zu merken. Ein Bauer,
der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron
bei dem einen Wappenlöwen ſtehen ſah, die Naſe
ſpürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn
höflich und ſagte: Es ſtinkt verflucht. — Merkt
Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig.
— Wer ſollte das nicht merken? rief der Bauer;
ſie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank
zieht im Winde weit umher.

Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom-
pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung
dieſes armſeligen Bauern und ging quer durch die
Dornen über Gras und Anger nach einem freien
Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik beſonders
tauglich zu ſeyn ſchien, weil dort weit und breit
umher die friſcheſte Luft wehte. Er maß den
Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei-
ten ab, notirte die Raummaaße in ſeiner Brieftaſche,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0123" n="105"/>
          <p>Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an-<lb/>
ders, als früherhin, wo er über ihre &#x017F;teinernen<lb/>
Be&#x017F;tandtheile noch nicht aufgeklärt gewe&#x017F;en war.<lb/>
Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und<lb/>
Schnüffeln ausprüfte, kam ihm &#x017F;o kalkicht und gyp-<lb/>
&#x017F;ern vor; er wußte nicht, wo er früher &#x017F;eine Na&#x017F;e<lb/>
gehabt hatte, &#x017F;olches nicht zu merken. Ein Bauer,<lb/>
der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron<lb/>
bei dem einen Wappenlöwen &#x017F;tehen &#x017F;ah, die Na&#x017F;e<lb/>
&#x017F;pürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn<lb/>
höflich und &#x017F;agte: Es &#x017F;tinkt verflucht. &#x2014; Merkt<lb/>
Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig.<lb/>
&#x2014; Wer &#x017F;ollte das nicht merken? rief der Bauer;<lb/>
&#x017F;ie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank<lb/>
zieht im Winde weit umher.</p><lb/>
          <p>Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom-<lb/>
pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung<lb/>
die&#x017F;es arm&#x017F;eligen Bauern und ging quer durch die<lb/>
Dornen über Gras und Anger nach einem freien<lb/>
Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik be&#x017F;onders<lb/>
tauglich zu &#x017F;eyn &#x017F;chien, weil dort weit und breit<lb/>
umher die fri&#x017F;che&#x017F;te Luft wehte. Er maß den<lb/>
Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei-<lb/>
ten ab, notirte die Raummaaße in &#x017F;einer Briefta&#x017F;che,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0123] Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an- ders, als früherhin, wo er über ihre ſteinernen Beſtandtheile noch nicht aufgeklärt geweſen war. Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und Schnüffeln ausprüfte, kam ihm ſo kalkicht und gyp- ſern vor; er wußte nicht, wo er früher ſeine Naſe gehabt hatte, ſolches nicht zu merken. Ein Bauer, der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron bei dem einen Wappenlöwen ſtehen ſah, die Naſe ſpürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn höflich und ſagte: Es ſtinkt verflucht. — Merkt Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig. — Wer ſollte das nicht merken? rief der Bauer; ſie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank zieht im Winde weit umher. Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom- pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung dieſes armſeligen Bauern und ging quer durch die Dornen über Gras und Anger nach einem freien Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik beſonders tauglich zu ſeyn ſchien, weil dort weit und breit umher die friſcheſte Luft wehte. Er maß den Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei- ten ab, notirte die Raummaaße in ſeiner Brieftaſche,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/123
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/123>, abgerufen am 01.05.2024.