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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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eines Feigenbaumes zu tragen, worin sie durch
einen vorgestopften Pflock verspündet wurde. Man
theilte das freudige Ereigniß bei der nächsten Zu-
sammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver-
fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben-
digsten Antheil zu nehmen. Auf diese Weise erhielt
ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck-
lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des
großmüthigen Engländers gestanden, rein scharren,
die erwachsene Heerde stürzte aber den Leichnam
des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um
von den beiden eingesperrten Zöglingen der Sitt-
lichkeit alle Anreizungen zum Laster zu entfernen.

In den folgenden Tagen begannen nun Solon
und Plato, unterstützt jezuweilen von den übrigen
Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah-
nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär-
merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt
seine Schnauze an ein federspulenkleines Löchlein,
welches der Kiesel unbedeckt ließ; Plato stellte sich
an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt sich
mit den Vorderfüßen am Stamme fest und legte
das Honigmaul gegen das Astloch, um sich ver-
ständlich zu machen. In dieser Stellung oder Lage

Immermann's Münchhausen. 2. Th. 11

eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch
einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man
theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu-
ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver-
fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben-
digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt
ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck-
lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des
großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren,
die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam
des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um
von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt-
lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen.

In den folgenden Tagen begannen nun Solon
und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen
Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah-
nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär-
merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt
ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein,
welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich
an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich
mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte
das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver-
ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder Lage

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11
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[161/0179] eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu- ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver- fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben- digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck- lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren, die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt- lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen. In den folgenden Tagen begannen nun Solon und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah- nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär- merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein, welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver- ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder Lage Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/179>, abgerufen am 28.04.2024.