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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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theilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um
die Erlaubniß für die Etablissementsgenossen, an
dem bezeichneten Orte nach dem Testamente suchen
zu dürfen. An dem Rande des Grabes, so schloß
der Brief, in dem Augenblicke, wo der scheinbare
Tag weicht und die heiligen Finsternisse ihre Lichter
anzünden, trat die Welt der Geister wieder in
ihre unzerstörlichen, urewigen Rechte ein. Aus
ihr erscholl die Stimme, welche einen Moment lang
zum Schweigen gebracht worden war, um den
Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat sie Wahr-
heit gesprochen, so müssen alle Staubwirbel, welche
die Geschäftigkeit des modernen Unglaubens auf-
wühlt, sich zerstreuen und verschwinden.

Eigentlich ist's nicht ganz richtig, sagte Kern-
beißer, als er den Brief überlesen hatte. Denn
der Magister hatte ihr bei Lebzeiten vom Testament
gesagt, so weit ich die gute Schnotterbaum ver-
standen habe. -- Schweig! rief Eschenmichel, und
siegelte den Brief.

Zwischen der Leiche im Hause und dem ver-
hängnißschwangern Polizeiarchiv eingeklemmt ver-
brachten wir den Rest der Nacht in einer wild-
unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten

theilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um
die Erlaubniß für die Etabliſſementsgenoſſen, an
dem bezeichneten Orte nach dem Teſtamente ſuchen
zu dürfen. An dem Rande des Grabes, ſo ſchloß
der Brief, in dem Augenblicke, wo der ſcheinbare
Tag weicht und die heiligen Finſterniſſe ihre Lichter
anzünden, trat die Welt der Geiſter wieder in
ihre unzerſtörlichen, urewigen Rechte ein. Aus
ihr erſcholl die Stimme, welche einen Moment lang
zum Schweigen gebracht worden war, um den
Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat ſie Wahr-
heit geſprochen, ſo müſſen alle Staubwirbel, welche
die Geſchäftigkeit des modernen Unglaubens auf-
wühlt, ſich zerſtreuen und verſchwinden.

Eigentlich iſt’s nicht ganz richtig, ſagte Kern-
beißer, als er den Brief überleſen hatte. Denn
der Magiſter hatte ihr bei Lebzeiten vom Teſtament
geſagt, ſo weit ich die gute Schnotterbaum ver-
ſtanden habe. — Schweig! rief Eſchenmichel, und
ſiegelte den Brief.

Zwiſchen der Leiche im Hauſe und dem ver-
hängnißſchwangern Polizeiarchiv eingeklemmt ver-
brachten wir den Reſt der Nacht in einer wild-
unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten

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[327/0345] theilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um die Erlaubniß für die Etabliſſementsgenoſſen, an dem bezeichneten Orte nach dem Teſtamente ſuchen zu dürfen. An dem Rande des Grabes, ſo ſchloß der Brief, in dem Augenblicke, wo der ſcheinbare Tag weicht und die heiligen Finſterniſſe ihre Lichter anzünden, trat die Welt der Geiſter wieder in ihre unzerſtörlichen, urewigen Rechte ein. Aus ihr erſcholl die Stimme, welche einen Moment lang zum Schweigen gebracht worden war, um den Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat ſie Wahr- heit geſprochen, ſo müſſen alle Staubwirbel, welche die Geſchäftigkeit des modernen Unglaubens auf- wühlt, ſich zerſtreuen und verſchwinden. Eigentlich iſt’s nicht ganz richtig, ſagte Kern- beißer, als er den Brief überleſen hatte. Denn der Magiſter hatte ihr bei Lebzeiten vom Teſtament geſagt, ſo weit ich die gute Schnotterbaum ver- ſtanden habe. — Schweig! rief Eſchenmichel, und ſiegelte den Brief. Zwiſchen der Leiche im Hauſe und dem ver- hängnißſchwangern Polizeiarchiv eingeklemmt ver- brachten wir den Reſt der Nacht in einer wild- unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/345>, abgerufen am 28.04.2024.