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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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dienen, sagte die Frau, ich habe Weißbrod aus
der Stadt mitgenommen, um es in den Kotten
umher zu verkaufen, wenn Sie mir aber etwas
abnehmen, brauche ich es nicht weiter zu tragen.
Sie öffnete ein weißes Tuch, welches sie nebst dem
Korbe trug und er nahm zwei Brödchen heraus.

Nun gingen sie quer durch die Wiesen und
nicht lange, so sahen sie ihren lieben Platz, den
sie seit dem ersten Zusammentreffen noch nicht wie-
der besucht hatten. Als sie die Büsche erblickten,
die kleinen Felsen und die schwarzen Baumtrüm-
mer, freuten sie sich wie die Kinder. Ihr erster
Gang war nach der Blume. Die war aber in-
zwischen verwelkt und die rothen Kelche hingen
blaß und erschöpft vom Stengel herunter. Lisbeth
seufzte, er aber sagte: Die Blume starb, die Liebe
lebte auf, geben wir der Blume ein Grab im Hei-
ligthume der Liebe! Er streifte die Kelche vom
Stengel, pflückte das Blatt einer wilden Lilie,
bereitete daraus ein Röllchen, steckte das Ver-
welkte hinein und reichte Lisbeth den kleinen grü-
nen Sarg. Sie sah ihn, eine Thräne im Auge,
an, dann schob sie ihn unter ihr Tuch und bestat-
tete ihn an ihrem Busen.


dienen, ſagte die Frau, ich habe Weißbrod aus
der Stadt mitgenommen, um es in den Kotten
umher zu verkaufen, wenn Sie mir aber etwas
abnehmen, brauche ich es nicht weiter zu tragen.
Sie öffnete ein weißes Tuch, welches ſie nebſt dem
Korbe trug und er nahm zwei Brödchen heraus.

Nun gingen ſie quer durch die Wieſen und
nicht lange, ſo ſahen ſie ihren lieben Platz, den
ſie ſeit dem erſten Zuſammentreffen noch nicht wie-
der beſucht hatten. Als ſie die Büſche erblickten,
die kleinen Felſen und die ſchwarzen Baumtrüm-
mer, freuten ſie ſich wie die Kinder. Ihr erſter
Gang war nach der Blume. Die war aber in-
zwiſchen verwelkt und die rothen Kelche hingen
blaß und erſchöpft vom Stengel herunter. Lisbeth
ſeufzte, er aber ſagte: Die Blume ſtarb, die Liebe
lebte auf, geben wir der Blume ein Grab im Hei-
ligthume der Liebe! Er ſtreifte die Kelche vom
Stengel, pflückte das Blatt einer wilden Lilie,
bereitete daraus ein Röllchen, ſteckte das Ver-
welkte hinein und reichte Lisbeth den kleinen grü-
nen Sarg. Sie ſah ihn, eine Thräne im Auge,
an, dann ſchob ſie ihn unter ihr Tuch und beſtat-
tete ihn an ihrem Buſen.


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[120/0134] dienen, ſagte die Frau, ich habe Weißbrod aus der Stadt mitgenommen, um es in den Kotten umher zu verkaufen, wenn Sie mir aber etwas abnehmen, brauche ich es nicht weiter zu tragen. Sie öffnete ein weißes Tuch, welches ſie nebſt dem Korbe trug und er nahm zwei Brödchen heraus. Nun gingen ſie quer durch die Wieſen und nicht lange, ſo ſahen ſie ihren lieben Platz, den ſie ſeit dem erſten Zuſammentreffen noch nicht wie- der beſucht hatten. Als ſie die Büſche erblickten, die kleinen Felſen und die ſchwarzen Baumtrüm- mer, freuten ſie ſich wie die Kinder. Ihr erſter Gang war nach der Blume. Die war aber in- zwiſchen verwelkt und die rothen Kelche hingen blaß und erſchöpft vom Stengel herunter. Lisbeth ſeufzte, er aber ſagte: Die Blume ſtarb, die Liebe lebte auf, geben wir der Blume ein Grab im Hei- ligthume der Liebe! Er ſtreifte die Kelche vom Stengel, pflückte das Blatt einer wilden Lilie, bereitete daraus ein Röllchen, ſteckte das Ver- welkte hinein und reichte Lisbeth den kleinen grü- nen Sarg. Sie ſah ihn, eine Thräne im Auge, an, dann ſchob ſie ihn unter ihr Tuch und beſtat- tete ihn an ihrem Buſen.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/134>, abgerufen am 30.04.2024.