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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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stellte sie auf den Tisch, die Zweite wiederholte
schüchtern die Worte: Sie werden gebeten, zum
Tanze zu kommen.

Hierauf hob Lisbeth ihr Antlitz gegen sie empor,
und nun zogen sich die Mädchen voll Grauen aus
der Stube zurück. Denn die Wangen waren lei-
chenweiß geworden und die Augen in ihren Höhlen
zurückgetreten und so voll Thränen, daß sie stro-
menden Quellen glichen. Die Brautjungfern gin-
gen hinunter zum Tanze, tanzten, hatten den Vor-
fall bald vergessen, und Lisbeth blieb allein. Denn
Niemand sprach unten von ihr, sonst wäre der
Diaconus wohl zu ihr gegangen, da er sie sehr
lieb hatte.

Als sie allein war, begann sie ein Werk, so
ernst und traurig, als ihre Spiele von vorhin fröh-
lich und ausgelassen gewesen waren. Mit einem
Blicke des Ekels und Abscheus sah sie das Gold
am Boden an, dann überwand sie sich dennoch,
raffte mit zitternden Fingern die Stücke auf, die
nun nur noch ihre Schande wiederspiegeln sollten,
und rollte sie wieder ein, indem ein erhabener
Hohn ihren Mund umzuckte. Dann warf sie die
Rolle verächtlich in einen Kasten, und verächtlich

ſtellte ſie auf den Tiſch, die Zweite wiederholte
ſchüchtern die Worte: Sie werden gebeten, zum
Tanze zu kommen.

Hierauf hob Lisbeth ihr Antlitz gegen ſie empor,
und nun zogen ſich die Mädchen voll Grauen aus
der Stube zurück. Denn die Wangen waren lei-
chenweiß geworden und die Augen in ihren Höhlen
zurückgetreten und ſo voll Thränen, daß ſie ſtro-
menden Quellen glichen. Die Brautjungfern gin-
gen hinunter zum Tanze, tanzten, hatten den Vor-
fall bald vergeſſen, und Lisbeth blieb allein. Denn
Niemand ſprach unten von ihr, ſonſt wäre der
Diaconus wohl zu ihr gegangen, da er ſie ſehr
lieb hatte.

Als ſie allein war, begann ſie ein Werk, ſo
ernſt und traurig, als ihre Spiele von vorhin fröh-
lich und ausgelaſſen geweſen waren. Mit einem
Blicke des Ekels und Abſcheus ſah ſie das Gold
am Boden an, dann überwand ſie ſich dennoch,
raffte mit zitternden Fingern die Stücke auf, die
nun nur noch ihre Schande wiederſpiegeln ſollten,
und rollte ſie wieder ein, indem ein erhabener
Hohn ihren Mund umzuckte. Dann warf ſie die
Rolle verächtlich in einen Kaſten, und verächtlich

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[134/0148] ſtellte ſie auf den Tiſch, die Zweite wiederholte ſchüchtern die Worte: Sie werden gebeten, zum Tanze zu kommen. Hierauf hob Lisbeth ihr Antlitz gegen ſie empor, und nun zogen ſich die Mädchen voll Grauen aus der Stube zurück. Denn die Wangen waren lei- chenweiß geworden und die Augen in ihren Höhlen zurückgetreten und ſo voll Thränen, daß ſie ſtro- menden Quellen glichen. Die Brautjungfern gin- gen hinunter zum Tanze, tanzten, hatten den Vor- fall bald vergeſſen, und Lisbeth blieb allein. Denn Niemand ſprach unten von ihr, ſonſt wäre der Diaconus wohl zu ihr gegangen, da er ſie ſehr lieb hatte. Als ſie allein war, begann ſie ein Werk, ſo ernſt und traurig, als ihre Spiele von vorhin fröh- lich und ausgelaſſen geweſen waren. Mit einem Blicke des Ekels und Abſcheus ſah ſie das Gold am Boden an, dann überwand ſie ſich dennoch, raffte mit zitternden Fingern die Stücke auf, die nun nur noch ihre Schande wiederſpiegeln ſollten, und rollte ſie wieder ein, indem ein erhabener Hohn ihren Mund umzuckte. Dann warf ſie die Rolle verächtlich in einen Kaſten, und verächtlich

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/148>, abgerufen am 30.04.2024.