Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesichte zugesehen, als er den jungen unschuldigen
Konradin hinrichten lassen, so faltete sich die reine
Stirn und Thränen flossen unter diesen lieben
zornigen Falten; aber eine süße Trunkenheit, ein
seliger Sonnenschein durchleuchtete das Antlitz, wenn
er ihr das grüne, wilde Murgthal schilderte und
dazu mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme das
Lied sang:

Süßer, goldner Frühlingstag!
Inniges Entzücken!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Sollt' es heut nicht glücken?

Alles, was er in diese unberührte Brust säte,
das keimte, sproßte, wurzelte darin, blühte und
trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr
aus seinem Vorrathe zu geben, denn er empfing
wieder das hundertste Korn; seine Welt kam ihm
verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln
Lisbeths und von ihren frischen Lippen. So wogte
es zwischen ihnen hin und wieder, ein Seliges,
Unausgesprochenes, Unaussprechliches und war der
Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr.
Wenn er ihr an einer schlimmen Stelle des Weges
die Hand reichte und wohl fühlte, daß der leise
Druck leiser erwiedert wurde, so durchschauerte ihn

Immermann's Münchhausen. 3. Th. 4

Geſichte zugeſehen, als er den jungen unſchuldigen
Konradin hinrichten laſſen, ſo faltete ſich die reine
Stirn und Thränen floſſen unter dieſen lieben
zornigen Falten; aber eine ſüße Trunkenheit, ein
ſeliger Sonnenſchein durchleuchtete das Antlitz, wenn
er ihr das grüne, wilde Murgthal ſchilderte und
dazu mit ſeiner tiefen, wohlklingenden Stimme das
Lied ſang:

Süßer, goldner Frühlingstag!
Inniges Entzücken!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Sollt’ es heut nicht glücken?

Alles, was er in dieſe unberührte Bruſt ſäte,
das keimte, ſproßte, wurzelte darin, blühte und
trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr
aus ſeinem Vorrathe zu geben, denn er empfing
wieder das hundertſte Korn; ſeine Welt kam ihm
verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln
Lisbeths und von ihren friſchen Lippen. So wogte
es zwiſchen ihnen hin und wieder, ein Seliges,
Unausgeſprochenes, Unausſprechliches und war der
Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr.
Wenn er ihr an einer ſchlimmen Stelle des Weges
die Hand reichte und wohl fühlte, daß der leiſe
Druck leiſer erwiedert wurde, ſo durchſchauerte ihn

Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="49"/>
Ge&#x017F;ichte zuge&#x017F;ehen, als er den jungen un&#x017F;chuldigen<lb/>
Konradin hinrichten la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o faltete &#x017F;ich die reine<lb/>
Stirn und Thränen flo&#x017F;&#x017F;en unter die&#x017F;en lieben<lb/>
zornigen Falten; aber eine &#x017F;üße Trunkenheit, ein<lb/>
&#x017F;eliger Sonnen&#x017F;chein durchleuchtete das Antlitz, wenn<lb/>
er ihr das grüne, wilde Murgthal &#x017F;childerte und<lb/>
dazu mit &#x017F;einer tiefen, wohlklingenden Stimme das<lb/>
Lied &#x017F;ang:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Süßer, goldner Frühlingstag!</l><lb/>
            <l>Inniges Entzücken!</l><lb/>
            <l>Wenn mir je ein Lied gelang,</l><lb/>
            <l>Sollt&#x2019; es heut nicht glücken?</l>
          </lg><lb/>
          <p>Alles, was er in die&#x017F;e unberührte Bru&#x017F;t &#x017F;äte,<lb/>
das keimte, &#x017F;proßte, wurzelte darin, blühte und<lb/>
trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr<lb/>
aus &#x017F;einem Vorrathe zu geben, denn er empfing<lb/>
wieder das hundert&#x017F;te Korn; &#x017F;eine Welt kam ihm<lb/>
verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln<lb/>
Lisbeths und von ihren fri&#x017F;chen Lippen. So wogte<lb/>
es zwi&#x017F;chen ihnen hin und wieder, ein Seliges,<lb/>
Unausge&#x017F;prochenes, Unaus&#x017F;prechliches und war der<lb/>
Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr.<lb/>
Wenn er ihr an einer &#x017F;chlimmen Stelle des Weges<lb/>
die Hand reichte und wohl fühlte, daß der lei&#x017F;e<lb/>
Druck lei&#x017F;er erwiedert wurde, &#x017F;o durch&#x017F;chauerte ihn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Immermann&#x2019;s Münchhau&#x017F;en. 3. Th. 4</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0063] Geſichte zugeſehen, als er den jungen unſchuldigen Konradin hinrichten laſſen, ſo faltete ſich die reine Stirn und Thränen floſſen unter dieſen lieben zornigen Falten; aber eine ſüße Trunkenheit, ein ſeliger Sonnenſchein durchleuchtete das Antlitz, wenn er ihr das grüne, wilde Murgthal ſchilderte und dazu mit ſeiner tiefen, wohlklingenden Stimme das Lied ſang: Süßer, goldner Frühlingstag! Inniges Entzücken! Wenn mir je ein Lied gelang, Sollt’ es heut nicht glücken? Alles, was er in dieſe unberührte Bruſt ſäte, das keimte, ſproßte, wurzelte darin, blühte und trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr aus ſeinem Vorrathe zu geben, denn er empfing wieder das hundertſte Korn; ſeine Welt kam ihm verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln Lisbeths und von ihren friſchen Lippen. So wogte es zwiſchen ihnen hin und wieder, ein Seliges, Unausgeſprochenes, Unausſprechliches und war der Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr. Wenn er ihr an einer ſchlimmen Stelle des Weges die Hand reichte und wohl fühlte, daß der leiſe Druck leiſer erwiedert wurde, ſo durchſchauerte ihn Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/63
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/63>, abgerufen am 29.04.2024.