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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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des Andern Tiefstes aus; das Feinste und Wahrste
der Seelen, der Blüthenstaub des inneren Menschen
wehte hinüber und herüber. Die Leidenschaft konnte
nicht aufkommen, denn die Hoffnung, fest geankert
auf dem Grunde des Sacraments, hielt sie mit
sanfter Hand nieder, die Ferne zeigte Jedem die
zweite theure Gestalt in verklärten Umrissen.

Daher kannten sie einander, als er ihr bei
Rotterdam aus dem Boote half, aber sie kannten
einander in der edelsten und köstlichsten Weise.
Den ewigen Menschen hatte Eines in dem Andern
erschauen gelernt, nicht den zufälligen. Die Be-
geisterung des ersten Liebesrausches hatte die süßeste
und zugleich die ernsteste hohe Schule durchgemacht.
In allen Tiefen des Bewußtseyns hatte sich das
Aufjauchzen des Gefühls als hohe Vernunft wie-
dergefunden.

Und nun haben sie einen Glauben, den nichts
erschüttern kann. Wenn der Tag seinen Schaum
heranspült und das Bild des Liebsten verun-
reinigt; wenn die Laune kommt und das Sonder-
bare, Dumpfe, so sprechen sie: Das ist nicht Os-
wald, das ist nicht Lisbeth, das ist der Zufall.

des Andern Tiefſtes aus; das Feinſte und Wahrſte
der Seelen, der Blüthenſtaub des inneren Menſchen
wehte hinüber und herüber. Die Leidenſchaft konnte
nicht aufkommen, denn die Hoffnung, feſt geankert
auf dem Grunde des Sacraments, hielt ſie mit
ſanfter Hand nieder, die Ferne zeigte Jedem die
zweite theure Geſtalt in verklärten Umriſſen.

Daher kannten ſie einander, als er ihr bei
Rotterdam aus dem Boote half, aber ſie kannten
einander in der edelſten und köſtlichſten Weiſe.
Den ewigen Menſchen hatte Eines in dem Andern
erſchauen gelernt, nicht den zufälligen. Die Be-
geiſterung des erſten Liebesrauſches hatte die ſüßeſte
und zugleich die ernſteſte hohe Schule durchgemacht.
In allen Tiefen des Bewußtſeyns hatte ſich das
Aufjauchzen des Gefühls als hohe Vernunft wie-
dergefunden.

Und nun haben ſie einen Glauben, den nichts
erſchüttern kann. Wenn der Tag ſeinen Schaum
heranſpült und das Bild des Liebſten verun-
reinigt; wenn die Laune kommt und das Sonder-
bare, Dumpfe, ſo ſprechen ſie: Das iſt nicht Os-
wald, das iſt nicht Lisbeth, das iſt der Zufall.

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[306/0318] des Andern Tiefſtes aus; das Feinſte und Wahrſte der Seelen, der Blüthenſtaub des inneren Menſchen wehte hinüber und herüber. Die Leidenſchaft konnte nicht aufkommen, denn die Hoffnung, feſt geankert auf dem Grunde des Sacraments, hielt ſie mit ſanfter Hand nieder, die Ferne zeigte Jedem die zweite theure Geſtalt in verklärten Umriſſen. Daher kannten ſie einander, als er ihr bei Rotterdam aus dem Boote half, aber ſie kannten einander in der edelſten und köſtlichſten Weiſe. Den ewigen Menſchen hatte Eines in dem Andern erſchauen gelernt, nicht den zufälligen. Die Be- geiſterung des erſten Liebesrauſches hatte die ſüßeſte und zugleich die ernſteſte hohe Schule durchgemacht. In allen Tiefen des Bewußtſeyns hatte ſich das Aufjauchzen des Gefühls als hohe Vernunft wie- dergefunden. Und nun haben ſie einen Glauben, den nichts erſchüttern kann. Wenn der Tag ſeinen Schaum heranſpült und das Bild des Liebſten verun- reinigt; wenn die Laune kommt und das Sonder- bare, Dumpfe, ſo ſprechen ſie: Das iſt nicht Os- wald, das iſt nicht Lisbeth, das iſt der Zufall.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/318>, abgerufen am 29.04.2024.