Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





Zorn geräth. (siehe §. 20.) Man
nehme an, die stärckste Neigung, so dem
Kinde von GOtt anerschaffen worden,
sey die Begierde zur Ehre, als welche
Begierde an und vor sich gut und bey ei-
nem vernünftigen Geschöpfe der nöthig-
ste und vortreflichste Sporn zu löblichen
Handlungen ist; so wird es ihm ver-
möge dieser Neigung unangenehm seyn,
wenn es sich der Ehre beraubet siehet.
Wäre dasselbe nun von einer gelassenen
Mutter gebohren; so würde es zwar in
etwas betrübt werden, wenn man es
nur der untersten Stelle dieser Erden
wolte würdig achten, und würde die
Verachtung durch geschickte Mittel su-
chen abzulehnen: aber sein Gemüth wür-
de nicht gleich in unordentliche Bewe-
gung gerathen, wenn ihm andere keine
Ehre erzeigeten, sondern würde bey Ge-
lassenheit Zeit gewinnen zu untersuchen,
ob es auch wol einer solchen Ehre, die
es verlanget, werth sey, und ob es
dadurch das Ziel seiner natürlichen Nei-
gung erreiche, wenn es sich bemühe
Ehrenbezeugungen mit Gewalt zu er-
zwingen. Da es aber von einer zum
Zorn geneigten Mutter gebohren, so regt
sich derselbe bey ihm auch, so bald ihm
nur die geringste unangenehme Empfin-
dung erwecket, und folglich auch, wenn

ihm
S 4





Zorn geraͤth. (ſiehe §. 20.) Man
nehme an, die ſtaͤrckſte Neigung, ſo dem
Kinde von GOtt anerſchaffen worden,
ſey die Begierde zur Ehre, als welche
Begierde an und vor ſich gut und bey ei-
nem vernuͤnftigen Geſchoͤpfe der noͤthig-
ſte und vortreflichſte Sporn zu loͤblichen
Handlungen iſt; ſo wird es ihm ver-
moͤge dieſer Neigung unangenehm ſeyn,
wenn es ſich der Ehre beraubet ſiehet.
Waͤre daſſelbe nun von einer gelaſſenen
Mutter gebohren; ſo wuͤrde es zwar in
etwas betruͤbt werden, wenn man es
nur der unterſten Stelle dieſer Erden
wolte wuͤrdig achten, und wuͤrde die
Verachtung durch geſchickte Mittel ſu-
chen abzulehnen: aber ſein Gemuͤth wuͤr-
de nicht gleich in unordentliche Bewe-
gung gerathen, wenn ihm andere keine
Ehre erzeigeten, ſondern wuͤrde bey Ge-
laſſenheit Zeit gewinnen zu unterſuchen,
ob es auch wol einer ſolchen Ehre, die
es verlanget, werth ſey, und ob es
dadurch das Ziel ſeiner natuͤrlichen Nei-
gung erreiche, wenn es ſich bemuͤhe
Ehrenbezeugungen mit Gewalt zu er-
zwingen. Da es aber von einer zum
Zorn geneigten Mutter gebohren, ſo regt
ſich derſelbe bey ihm auch, ſo bald ihm
nur die geringſte unangenehme Empfin-
dung erwecket, und folglich auch, wenn

ihm
S 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0311" n="279[275]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Zorn gera&#x0364;th. (&#x017F;iehe §. 20.) Man<lb/>
nehme an, die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;te Neigung, &#x017F;o dem<lb/>
Kinde von GOtt aner&#x017F;chaffen worden,<lb/>
&#x017F;ey die Begierde zur Ehre, als welche<lb/>
Begierde an und vor &#x017F;ich gut und bey ei-<lb/>
nem vernu&#x0364;nftigen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe der no&#x0364;thig-<lb/>
&#x017F;te und vortreflich&#x017F;te Sporn zu lo&#x0364;blichen<lb/>
Handlungen i&#x017F;t; &#x017F;o wird es ihm ver-<lb/>
mo&#x0364;ge die&#x017F;er Neigung unangenehm &#x017F;eyn,<lb/>
wenn es &#x017F;ich der Ehre beraubet &#x017F;iehet.<lb/>
Wa&#x0364;re da&#x017F;&#x017F;elbe nun von einer gela&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Mutter gebohren; &#x017F;o wu&#x0364;rde es zwar in<lb/>
etwas betru&#x0364;bt werden, wenn man es<lb/>
nur der unter&#x017F;ten Stelle die&#x017F;er Erden<lb/>
wolte wu&#x0364;rdig achten, und wu&#x0364;rde die<lb/>
Verachtung durch ge&#x017F;chickte Mittel &#x017F;u-<lb/>
chen abzulehnen: aber &#x017F;ein Gemu&#x0364;th wu&#x0364;r-<lb/>
de nicht gleich in unordentliche Bewe-<lb/>
gung gerathen, wenn ihm andere keine<lb/>
Ehre erzeigeten, &#x017F;ondern wu&#x0364;rde bey Ge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enheit Zeit gewinnen zu unter&#x017F;uchen,<lb/>
ob es auch wol einer &#x017F;olchen Ehre, die<lb/>
es verlanget, werth &#x017F;ey, und ob es<lb/>
dadurch das Ziel &#x017F;einer natu&#x0364;rlichen Nei-<lb/>
gung erreiche, wenn es &#x017F;ich bemu&#x0364;he<lb/>
Ehrenbezeugungen mit Gewalt zu er-<lb/>
zwingen. Da es aber von einer zum<lb/>
Zorn geneigten Mutter gebohren, &#x017F;o regt<lb/>
&#x017F;ich der&#x017F;elbe bey ihm auch, &#x017F;o bald ihm<lb/>
nur die gering&#x017F;te unangenehme Empfin-<lb/>
dung erwecket, und folglich auch, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279[275]/0311] Zorn geraͤth. (ſiehe §. 20.) Man nehme an, die ſtaͤrckſte Neigung, ſo dem Kinde von GOtt anerſchaffen worden, ſey die Begierde zur Ehre, als welche Begierde an und vor ſich gut und bey ei- nem vernuͤnftigen Geſchoͤpfe der noͤthig- ſte und vortreflichſte Sporn zu loͤblichen Handlungen iſt; ſo wird es ihm ver- moͤge dieſer Neigung unangenehm ſeyn, wenn es ſich der Ehre beraubet ſiehet. Waͤre daſſelbe nun von einer gelaſſenen Mutter gebohren; ſo wuͤrde es zwar in etwas betruͤbt werden, wenn man es nur der unterſten Stelle dieſer Erden wolte wuͤrdig achten, und wuͤrde die Verachtung durch geſchickte Mittel ſu- chen abzulehnen: aber ſein Gemuͤth wuͤr- de nicht gleich in unordentliche Bewe- gung gerathen, wenn ihm andere keine Ehre erzeigeten, ſondern wuͤrde bey Ge- laſſenheit Zeit gewinnen zu unterſuchen, ob es auch wol einer ſolchen Ehre, die es verlanget, werth ſey, und ob es dadurch das Ziel ſeiner natuͤrlichen Nei- gung erreiche, wenn es ſich bemuͤhe Ehrenbezeugungen mit Gewalt zu er- zwingen. Da es aber von einer zum Zorn geneigten Mutter gebohren, ſo regt ſich derſelbe bey ihm auch, ſo bald ihm nur die geringſte unangenehme Empfin- dung erwecket, und folglich auch, wenn ihm S 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/311
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 279[275]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/311>, abgerufen am 28.04.2024.