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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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die göttliche Vorsehung die von Geburth
her unangesehene und arme Jünger auser-
kohren. Sind diese nun in dieser Welt
schon selig zu achten? Kan deren Glück
mit den Cronen der mächtigsten Könige und
mit dem Ansehen grosser Propheten vergli-
chen werden? Der Heiland thut dieses,
und wir wissen, daß sein Mund nicht trüget.
Worein setzet er aber dieses so sonderbare
Glück? Darein, daß sie die Zeiten des
Meßias sehen. Selig sind die Augen,
die da sehen, das ihr sehet.
Es ist un-
nöthig weitläuftig zu erinnern, daß hier von
keinem blossen leiblichen Sehen der Per-
son und der Wunder des Heilandes die
Rede sey, sondern von einem solchen Sehen,
welches den Verstand aufkläret, den Wil-
len heiliget, und die Seele mit einem recht-
schaffenen Wesen in Christo belebet. An-
ders wären auch die Pharisäer selig zu nen-
nen gewesen, welches der Heiland nie ge-
than. Er hat vielmehr ein fürchterliches
Weh über sie ausgerufen. Was giebt
aber den Jüngern des HErrn dieses Sehen
für einen Vorzug vor den gottseligen Vä-
tern, Königen und Propheten, welche den
Tag des Heilandes nur zum Voraus im

Geiste



die goͤttliche Vorſehung die von Geburth
her unangeſehene und arme Juͤnger auser-
kohren. Sind dieſe nun in dieſer Welt
ſchon ſelig zu achten? Kan deren Gluͤck
mit den Cronen der maͤchtigſten Koͤnige und
mit dem Anſehen groſſer Propheten vergli-
chen werden? Der Heiland thut dieſes,
und wir wiſſen, daß ſein Mund nicht truͤget.
Worein ſetzet er aber dieſes ſo ſonderbare
Gluͤck? Darein, daß ſie die Zeiten des
Meßias ſehen. Selig ſind die Augen,
die da ſehen, das ihr ſehet.
Es iſt un-
noͤthig weitlaͤuftig zu erinnern, daß hier von
keinem bloſſen leiblichen Sehen der Per-
ſon und der Wunder des Heilandes die
Rede ſey, ſondern von einem ſolchen Sehen,
welches den Verſtand aufklaͤret, den Wil-
len heiliget, und die Seele mit einem recht-
ſchaffenen Weſen in Chriſto belebet. An-
ders waͤren auch die Phariſaͤer ſelig zu nen-
nen geweſen, welches der Heiland nie ge-
than. Er hat vielmehr ein fuͤrchterliches
Weh uͤber ſie ausgerufen. Was giebt
aber den Juͤngern des HErrn dieſes Sehen
fuͤr einen Vorzug vor den gottſeligen Vaͤ-
tern, Koͤnigen und Propheten, welche den
Tag des Heilandes nur zum Voraus im

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[412/0430] die goͤttliche Vorſehung die von Geburth her unangeſehene und arme Juͤnger auser- kohren. Sind dieſe nun in dieſer Welt ſchon ſelig zu achten? Kan deren Gluͤck mit den Cronen der maͤchtigſten Koͤnige und mit dem Anſehen groſſer Propheten vergli- chen werden? Der Heiland thut dieſes, und wir wiſſen, daß ſein Mund nicht truͤget. Worein ſetzet er aber dieſes ſo ſonderbare Gluͤck? Darein, daß ſie die Zeiten des Meßias ſehen. Selig ſind die Augen, die da ſehen, das ihr ſehet. Es iſt un- noͤthig weitlaͤuftig zu erinnern, daß hier von keinem bloſſen leiblichen Sehen der Per- ſon und der Wunder des Heilandes die Rede ſey, ſondern von einem ſolchen Sehen, welches den Verſtand aufklaͤret, den Wil- len heiliget, und die Seele mit einem recht- ſchaffenen Weſen in Chriſto belebet. An- ders waͤren auch die Phariſaͤer ſelig zu nen- nen geweſen, welches der Heiland nie ge- than. Er hat vielmehr ein fuͤrchterliches Weh uͤber ſie ausgerufen. Was giebt aber den Juͤngern des HErrn dieſes Sehen fuͤr einen Vorzug vor den gottſeligen Vaͤ- tern, Koͤnigen und Propheten, welche den Tag des Heilandes nur zum Voraus im Geiſte

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/430>, abgerufen am 29.04.2024.