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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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gehabt haben. Es muß ihm seyn bekannt
gewesen, daß die Menschen hinführo durch
Vater und Mutter fortgepflanzet werden
sollten, und daß die Kinder eine sehr grosse
Neigung gegen die Eltern haben und sich
ungern von selbigen trennen würden. Er
muß sogar den Grad dieser Liebe mit dem
Grade der ehelichen Liebe schon haben ver-
gleichen können. Ob Adam alles dieses so
genau in dem ersten Augenblicke, da ihm
Gott die Eva zuführete, gewußt habe,
kommt mir zweifelhaft vor. Wenigstens
wissen sich diejenigen, welche diese Worte
dem Adam in den Mund legen, nicht an-
ders zu helfen, als daß sie sagen, Gott
habe ihm solches durch eine unmittelbare
Offenbarung eingegeben, wovon wir hier
aber keine Spur finden. Eignen wir aber
diese Worte dem Moses zu, der sie als
ein göttlich Gesetz anführet, so den ersten
Vätern gegeben, und von den Frommen
und Wolgesitteten noch zu Moses Zeiten
beobachtet worden, so stimmet meiner Ein-
sicht nach alles mit den damaligen Umstän-
den auf eine natürliche Art zusammen.
Der ganze Zusammenhang ist denn dieser:
Gott bringet die Eva zu dem Adam, wel-
cher bisher gesehen, daß die Thiere sich
gatteten, er aber war allein gewesen. Er
freuet sich dero wegen ungemein und spricht:
Das ist doch Bein von meinen Beinen,
und Fleisch von meinem Fleische. Man

wird
Q 4

gehabt haben. Es muß ihm ſeyn bekannt
geweſen, daß die Menſchen hinfuͤhro durch
Vater und Mutter fortgepflanzet werden
ſollten, und daß die Kinder eine ſehr groſſe
Neigung gegen die Eltern haben und ſich
ungern von ſelbigen trennen wuͤrden. Er
muß ſogar den Grad dieſer Liebe mit dem
Grade der ehelichen Liebe ſchon haben ver-
gleichen koͤnnen. Ob Adam alles dieſes ſo
genau in dem erſten Augenblicke, da ihm
Gott die Eva zufuͤhrete, gewußt habe,
kommt mir zweifelhaft vor. Wenigſtens
wiſſen ſich diejenigen, welche dieſe Worte
dem Adam in den Mund legen, nicht an-
ders zu helfen, als daß ſie ſagen, Gott
habe ihm ſolches durch eine unmittelbare
Offenbarung eingegeben, wovon wir hier
aber keine Spur finden. Eignen wir aber
dieſe Worte dem Moſes zu, der ſie als
ein goͤttlich Geſetz anfuͤhret, ſo den erſten
Vaͤtern gegeben, und von den Frommen
und Wolgeſitteten noch zu Moſes Zeiten
beobachtet worden, ſo ſtimmet meiner Ein-
ſicht nach alles mit den damaligen Umſtaͤn-
den auf eine natuͤrliche Art zuſammen.
Der ganze Zuſammenhang iſt denn dieſer:
Gott bringet die Eva zu dem Adam, wel-
cher bisher geſehen, daß die Thiere ſich
gatteten, er aber war allein geweſen. Er
freuet ſich dero wegen ungemein und ſpricht:
Das iſt doch Bein von meinen Beinen,
und Fleiſch von meinem Fleiſche. Man

wird
Q 4
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[247/0267] gehabt haben. Es muß ihm ſeyn bekannt geweſen, daß die Menſchen hinfuͤhro durch Vater und Mutter fortgepflanzet werden ſollten, und daß die Kinder eine ſehr groſſe Neigung gegen die Eltern haben und ſich ungern von ſelbigen trennen wuͤrden. Er muß ſogar den Grad dieſer Liebe mit dem Grade der ehelichen Liebe ſchon haben ver- gleichen koͤnnen. Ob Adam alles dieſes ſo genau in dem erſten Augenblicke, da ihm Gott die Eva zufuͤhrete, gewußt habe, kommt mir zweifelhaft vor. Wenigſtens wiſſen ſich diejenigen, welche dieſe Worte dem Adam in den Mund legen, nicht an- ders zu helfen, als daß ſie ſagen, Gott habe ihm ſolches durch eine unmittelbare Offenbarung eingegeben, wovon wir hier aber keine Spur finden. Eignen wir aber dieſe Worte dem Moſes zu, der ſie als ein goͤttlich Geſetz anfuͤhret, ſo den erſten Vaͤtern gegeben, und von den Frommen und Wolgeſitteten noch zu Moſes Zeiten beobachtet worden, ſo ſtimmet meiner Ein- ſicht nach alles mit den damaligen Umſtaͤn- den auf eine natuͤrliche Art zuſammen. Der ganze Zuſammenhang iſt denn dieſer: Gott bringet die Eva zu dem Adam, wel- cher bisher geſehen, daß die Thiere ſich gatteten, er aber war allein geweſen. Er freuet ſich dero wegen ungemein und ſpricht: Das iſt doch Bein von meinen Beinen, und Fleiſch von meinem Fleiſche. Man wird Q 4

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/267>, abgerufen am 14.05.2024.