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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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Arbeit nachgehen, und das Kind muß auf
der Strasse umher laufen und betteln, und
lernet allerhand Laster. Sind wir nun
anders vernünftige Menschen, sind wir
Christen, so überdenke man, was Gott im
Reiche der Natur und der Gnaden ge-
than, um wolgezogene und tugendhafte
Menschen zu haben, und überlege, wie
sehr die Unzüchtigen sich diesem so erhabe-
nen Zwecke widersetzen. Die Unzucht
führet zur äussersten Grausamkeit, so nur
gedacht werden kann. Jst etwas härte-
res, als wenn ein Vater ein unschuldiges
Kind leichtsinniger Weise dem Hunger und
dem Tode überlässet und sich freuet, wenn
es umgekommen ist, da die Natur bey
rechtschaffenen Eltern Güsse von Thränen
zeuget, wenn sie ein Kind der Verwesung
übergeben müssen? Jenes thun aber die
allermehresten Väter unehelicher Kinder.
Können selbige etwas anders als rechte
Ungeheuer in den Augen des weisesten und
liebreichsten Gottes seyn? Wäre Gott nicht
ungerecht, wenn er die Quaal und den
Tod solcher armen unschuldigen Kinder
nicht rächen wollte. Ein Reicher, der sich
der Unzucht ergiebet, denket: dieser Grau-
samkeit mache ich mich nicht schuldig. Jch
ernähre meine Hurkinder. Allein giebet
man ihnen diejenige zärtliche und sorgfältige
Erziehung, wozu uns die Natur verbindet?
Thut man das an ihnen, was man an ehe-

lichen
S 3

Arbeit nachgehen, und das Kind muß auf
der Straſſe umher laufen und betteln, und
lernet allerhand Laſter. Sind wir nun
anders vernuͤnftige Menſchen, ſind wir
Chriſten, ſo uͤberdenke man, was Gott im
Reiche der Natur und der Gnaden ge-
than, um wolgezogene und tugendhafte
Menſchen zu haben, und uͤberlege, wie
ſehr die Unzuͤchtigen ſich dieſem ſo erhabe-
nen Zwecke widerſetzen. Die Unzucht
fuͤhret zur aͤuſſerſten Grauſamkeit, ſo nur
gedacht werden kann. Jſt etwas haͤrte-
res, als wenn ein Vater ein unſchuldiges
Kind leichtſinniger Weiſe dem Hunger und
dem Tode uͤberlaͤſſet und ſich freuet, wenn
es umgekommen iſt, da die Natur bey
rechtſchaffenen Eltern Guͤſſe von Thraͤnen
zeuget, wenn ſie ein Kind der Verweſung
uͤbergeben muͤſſen? Jenes thun aber die
allermehreſten Vaͤter unehelicher Kinder.
Koͤnnen ſelbige etwas anders als rechte
Ungeheuer in den Augen des weiſeſten und
liebreichſten Gottes ſeyn? Waͤre Gott nicht
ungerecht, wenn er die Quaal und den
Tod ſolcher armen unſchuldigen Kinder
nicht raͤchen wollte. Ein Reicher, der ſich
der Unzucht ergiebet, denket: dieſer Grau-
ſamkeit mache ich mich nicht ſchuldig. Jch
ernaͤhre meine Hurkinder. Allein giebet
man ihnen diejenige zaͤrtliche und ſorgfaͤltige
Erziehung, wozu uns die Natur verbindet?
Thut man das an ihnen, was man an ehe-

lichen
S 3
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[277/0297] Arbeit nachgehen, und das Kind muß auf der Straſſe umher laufen und betteln, und lernet allerhand Laſter. Sind wir nun anders vernuͤnftige Menſchen, ſind wir Chriſten, ſo uͤberdenke man, was Gott im Reiche der Natur und der Gnaden ge- than, um wolgezogene und tugendhafte Menſchen zu haben, und uͤberlege, wie ſehr die Unzuͤchtigen ſich dieſem ſo erhabe- nen Zwecke widerſetzen. Die Unzucht fuͤhret zur aͤuſſerſten Grauſamkeit, ſo nur gedacht werden kann. Jſt etwas haͤrte- res, als wenn ein Vater ein unſchuldiges Kind leichtſinniger Weiſe dem Hunger und dem Tode uͤberlaͤſſet und ſich freuet, wenn es umgekommen iſt, da die Natur bey rechtſchaffenen Eltern Guͤſſe von Thraͤnen zeuget, wenn ſie ein Kind der Verweſung uͤbergeben muͤſſen? Jenes thun aber die allermehreſten Vaͤter unehelicher Kinder. Koͤnnen ſelbige etwas anders als rechte Ungeheuer in den Augen des weiſeſten und liebreichſten Gottes ſeyn? Waͤre Gott nicht ungerecht, wenn er die Quaal und den Tod ſolcher armen unſchuldigen Kinder nicht raͤchen wollte. Ein Reicher, der ſich der Unzucht ergiebet, denket: dieſer Grau- ſamkeit mache ich mich nicht ſchuldig. Jch ernaͤhre meine Hurkinder. Allein giebet man ihnen diejenige zaͤrtliche und ſorgfaͤltige Erziehung, wozu uns die Natur verbindet? Thut man das an ihnen, was man an ehe- lichen S 3

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/297>, abgerufen am 20.05.2024.