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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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men, aber die Schamhaftigkeit soll nicht
Ursach seyn, daß zu Zeiten und zwar nur
selten ein Kind ermordet wird. Allein,
warum wird denn die Schamhaftigkeit
unter den Vornehmen keine Ursache eines
häufigen Kindermordes? Warum ist sie
bey selbigen ein Mittel der Keuschheit, und
folglich auch ein Mittel wider die Ermor-
dung unschuldiger Kinder? Endlich hebet
die entkräftete Schamhaftigkeit den Kin-
dermord nicht auf. Eine geschwächte Person
wird insgemein auf Zeitlebens äusserst un-
glücklich. Sie bekommt die unerträgliche
Last, ein Kind ohne Beyhülfe des Vaters
zu ernähren. Eine solche Person hat fer-
ner wenige Hoffnung, an einen guten
Mann zu kommen. Gelanget sie ja noch
zu einer Ehe, so ist selbige insgemein sehr
unglücklich. Eine solche Frau wird die
mehreste Zeit von ihrem Manne gering ge-
schätzet, und muß bey aller Gelegenheit
den empfindlichsten Vorwurf hören. Die-
se Umstände sind stark genug, jemanden
zu der Ermordung eines unehelichen Kin-
des zu verführen. Plutarch, ein berühm-
ter heidnischer Schriftsteller, hat noch an-
dere Ursachen davon bemerket, die ich aber
hier nicht anführen mag. Er verbindet sie
mit der Erzählung eines andern Lasters, so
zu seiner Zeit im Schwange gieng. Es
gab damals Leute, welche dergestalt in das
Essen und Trinken verliebet waren, daß

wenn

men, aber die Schamhaftigkeit ſoll nicht
Urſach ſeyn, daß zu Zeiten und zwar nur
ſelten ein Kind ermordet wird. Allein,
warum wird denn die Schamhaftigkeit
unter den Vornehmen keine Urſache eines
haͤufigen Kindermordes? Warum iſt ſie
bey ſelbigen ein Mittel der Keuſchheit, und
folglich auch ein Mittel wider die Ermor-
dung unſchuldiger Kinder? Endlich hebet
die entkraͤftete Schamhaftigkeit den Kin-
dermord nicht auf. Eine geſchwaͤchte Perſon
wird insgemein auf Zeitlebens aͤuſſerſt un-
gluͤcklich. Sie bekommt die unertraͤgliche
Laſt, ein Kind ohne Beyhuͤlfe des Vaters
zu ernaͤhren. Eine ſolche Perſon hat fer-
ner wenige Hoffnung, an einen guten
Mann zu kommen. Gelanget ſie ja noch
zu einer Ehe, ſo iſt ſelbige insgemein ſehr
ungluͤcklich. Eine ſolche Frau wird die
mehreſte Zeit von ihrem Manne gering ge-
ſchaͤtzet, und muß bey aller Gelegenheit
den empfindlichſten Vorwurf hoͤren. Die-
ſe Umſtaͤnde ſind ſtark genug, jemanden
zu der Ermordung eines unehelichen Kin-
des zu verfuͤhren. Plutarch, ein beruͤhm-
ter heidniſcher Schriftſteller, hat noch an-
dere Urſachen davon bemerket, die ich aber
hier nicht anfuͤhren mag. Er verbindet ſie
mit der Erzaͤhlung eines andern Laſters, ſo
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gab damals Leute, welche dergeſtalt in das
Eſſen und Trinken verliebet waren, daß

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[298/0318] men, aber die Schamhaftigkeit ſoll nicht Urſach ſeyn, daß zu Zeiten und zwar nur ſelten ein Kind ermordet wird. Allein, warum wird denn die Schamhaftigkeit unter den Vornehmen keine Urſache eines haͤufigen Kindermordes? Warum iſt ſie bey ſelbigen ein Mittel der Keuſchheit, und folglich auch ein Mittel wider die Ermor- dung unſchuldiger Kinder? Endlich hebet die entkraͤftete Schamhaftigkeit den Kin- dermord nicht auf. Eine geſchwaͤchte Perſon wird insgemein auf Zeitlebens aͤuſſerſt un- gluͤcklich. Sie bekommt die unertraͤgliche Laſt, ein Kind ohne Beyhuͤlfe des Vaters zu ernaͤhren. Eine ſolche Perſon hat fer- ner wenige Hoffnung, an einen guten Mann zu kommen. Gelanget ſie ja noch zu einer Ehe, ſo iſt ſelbige insgemein ſehr ungluͤcklich. Eine ſolche Frau wird die mehreſte Zeit von ihrem Manne gering ge- ſchaͤtzet, und muß bey aller Gelegenheit den empfindlichſten Vorwurf hoͤren. Die- ſe Umſtaͤnde ſind ſtark genug, jemanden zu der Ermordung eines unehelichen Kin- des zu verfuͤhren. Plutarch, ein beruͤhm- ter heidniſcher Schriftſteller, hat noch an- dere Urſachen davon bemerket, die ich aber hier nicht anfuͤhren mag. Er verbindet ſie mit der Erzaͤhlung eines andern Laſters, ſo zu ſeiner Zeit im Schwange gieng. Es gab damals Leute, welche dergeſtalt in das Eſſen und Trinken verliebet waren, daß wenn

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/318>, abgerufen am 05.05.2024.